Wenn Teppichfasern die Füße kitzeln
Die Autorin Kate Howlett-Jones ist Britin und lebt seit 14 Jahren in Graz. Ihre schriftstellerische Tätigkeit stützt sich auf drei Standbeine, wobei Schrift und Kunst eine wesentliche Rolle spielen.
Eigentlich denkt und schreibt sie in Englisch, doch sie ist völlig überzeugt: „Das Kennen anderer Sprachen erweitert den Blickwinkel und verschiebt ihn auch." Howlett-Jones fühlt sich immer wieder herausgefordert, wenn sie ein Gefühl in einer anderen Sprache als Englisch ausdrücken muss. Und Sprachen sind auch ihre uneingeschränkte Leidenschaft. Aufgewachsen ist die vielseitige Schriftstellerin in London, ihr Studium in Französisch und Russisch hat sie an der University of Oxford abgeschlossen. Bevor sie 1999 nach Österreich kam, veröffentlichte sie unterschiedliche Texte im Reise- und Kulturjournalismus. Felsenfest: „Ich wollte immer schreiben."
Ihre Ursprungsfamilie bezeichnet sie als „relativ kreativ". Ihr Vater ist Lehrer und Schreiber, ihre Mutter Musikerin. Gerade diese familiäre Kreativität war aber für die Britin auch hinderlich. Lange Jahre stellte sie sich immerfort die Frage, ob sie überhaupt schreiben darf. Diese Selbstzweifel äußern sich heute noch in einer außerordentlichen selbstkritischen Beobachtung. Beruflich hat es sie in die Kunst- und Kultur verschlagen, aus privaten Gründen nach Österreich. Beruflich hat sie sich in Graz drei Standbeine aufgebaut: Einerseits verdient sich Howlett-Jones ihr Geld mit Übersetzungen, aber ausschließlich im Kunst- und Kulturbereich. Kunst schriftlich zu betrachten und auch über Kunst zu schreiben macht ihr Vergnügen. „Sollte ich im Fach der Chirurgie eine Anleitung für eine Operation übersetzen? Das wäre mir eindeutig zu viel Verantwortung. Der Gedanke, dass bei der Operation etwas schief gehen könnte, weil ich es schlecht übersetzt habe, wäre unerträglich", erzählt Howlett-Jones mit einem Anflug britischen Humors. Andererseits schreibt sie nach wie vor als Journalistin.
Ihre Herzensangelegenheit, das kreative Schreiben ist ihr drittes Standbein. Sie sei, als Migrantin, ein Beobachtertyp der unterschiedlichen kulturellen Ausprägungen. Sie schaut sich das Leben von Bekannten und Unbekannten an, und sie verarbeitet dieses unerkennbar für ihre Geschichten. Eine Geschichte soll etwas Magisches sein, etwas nicht zu Einfaches, eine Geschichte, die man lesen will. Dafür hat sie immer ihr Notizbuch mit, um Gedanken, Ideen und Beobachtungen gleich festhalten zu können. „Es ist wie ein Puzzle, das ich zusammensetze." Ihr Roman wird eine Familiengeschichte sein, angesiedelt in Brighton, und darin spielt die intellektuelle Anforderung, was man im Leben selbst steuern kann und was von anderen bestimmt ist, eine große Rolle. Die englische Beschreibung für den Roman liest sich so: „Her work investigates the flux between self-definition and determining external influences, the choreography we stage as we negotiate our social and spatial environments, how far we are swayed by the genetic and collective imprint of the past on the present." Es soll ein seriöser Roman werden, gespickt mit Ernsthaftigkeit, der gleichzeitig auch unterhalten soll.
„Ein Roman sollte keine perfekte Einheit wie fein gewebtes Leinen sein, sondern eher ein grob geflochtener Teppich, wo die Ideen aneinander reiben - der manchmal unter den nackten Füßen manchmal angenehm kitzelnd und manchmal unangenehm ist", vergleicht die intellektuell offene und bedächtige Schriftstellerin bildhaft. Der Prozess des Schreibens sei die ständige Spannung zwischen dem Handwerk des Schreibens auf der einen Seite und dem Fließenlassen auf der anderen Seite. Auf die Frage, wie lange sie selbst in einem Stück schreiben kann, kommt die prompte augenzwinkernde Antwort: „Stundenlang, solange die Rahmenbedingungen stimmen." Damit spielt sie auch ein bisschen auf ihre familiäre Situation hat: Howlett-Jones ist verheiratet und hat zwei Buben.
Ideale Rahmenbedingungen für ihr Schreiben und Arbeiten hat sie sich mit dem Einzug ins RONDO, in die Künstlerateliers des Landes Steiermark, im Jahr 2010 geschaffen. Dort konnte sie zwei Jahre lang arbeiten. Jetzt teilt sie sich ein Atelier mit drei anderen Ex-RONDO-Künstlerinnen: Maryam Mohammadi, Nayari Castillo und Tuuli Sundén-Uusimäki. Sie sind alle vier Migrantinnen, das verbindet die vier Frauen noch einmal besonders. Und diese vier Künstlerinnen unterschiedlicher Genres verwirklichen nun gemeinsam das Projekt „The Daily Rhythms Collective", in dem es um neue Blickwinkel der Integration geht. Howlett-Jones schreibt hierfür auch gemeinsam mit den bildenden Künstlerinnen die Texte für die Installationen: „Der Begriff der Integration wird in einem breiten Sinn angeschaut, und der Diskurs darüber wird mit künstlerischen Methoden entfacht."
Dieses Projekt besteht aus mehreren Teilen. Mit der Veranstaltung „Timelag", die Anfang Juni 2013 im Institut für Zeitverschiebung in Graz eröffnet, wird das Projekt erstmals sichtbar: Es werden künstlerisch Dimensionen überwunden oder mit eingeschlossen, Brücken zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart geschlagen, „synthesized realities" erzeugt, und es werden neue Wege beschritten, über Erinnerung und Geschichte nachzudenken. Dieses Projekt ist nur ein Teil der umfangreichen und vielseitigen Arbeit, der die Autorin Howlett-Jones nachgeht. Auch wenn sich die umfassende Beschäftigung mit Kunst und Kultur in einem schriftstellerischen Kontext (atmo)sphärisch, philosophisch, intellektuell, gedankenreich und hintergründig anfühlt, verliert Howlett-Jones auch durch ein familiär ausgefülltes Alltagsleben nie ihre Bodenständigkeit.
Petra Sieder-Grabner
Stand: Mai 2013