Das weite Feld
Kein Konkurrenztyp: Die studierte Bildhauerin Gertrude Moser-Wagner bevorzugt Kooperation – und holt für ihre Projekte Klimaforscherinnen ebenso ins Boot wie Schriftsteller.
„Wüst ist rings / Die Stätte nun, wo du / O holde Blume, blühst, und in den Himmel / Als ob du mit ihr littest, sendest du / Den reinsten Duft mit goldnem Haupt empor / Dass er sie tröste". Mit Poemen wie diesen besang 1831 der italienische Dichter Giacomo Leopardi ein Gewächs, das zäher, resistenter und durchsetzungskräftiger ist als die meisten anderen Pflanzen: den Ginster.
Beliebtes Fotomotiv aller Italienurlaubenden, findet sich das gelbe Gestrüpp in einer Serigrafie von Gertrude Moser-Wagner. Im Jahr 2000, als die vierteilige Arbeit entstand, erforschte die 1953 in St. Georgen/Murau geborene Künstlerin gerade einen Müllberg nahe Bologna. „Wie bei einer Torte wurde da jeweils eine Schicht Müll, eine Schicht Erde übereinandergelegt", erklärt Moser-Wagner, „den Berg nutzte man zur Biogasgewinnung sowie zu wissenschaftlichen Studien." Und setzt, nicht ohne gewisse Begeisterung, nach: „Es ist ein symbolischer Ort, wie ein Vulkan!" Schließlich ließen sich die chemischen Reaktionen unter der Oberfläche keineswegs präzise prognostizieren. Ihre Serigrafie, Teil eines größer angelegten Projekts, besteht aus vier 60 mal 60 cm großen Metallplatten, auf denen Fotografien des Berges, der städtischen Peripherie, der technischen Anlagen, gedruckt wurden; teils erinnern sie an die trostlosen Räume zwischen Land und Stadt in den Filmen Pier Paolo Pasolinis.
Die Bilder versah Moser-Wagner mit italienischen Zitaten aus Leopardis Ode an den Ginster. Diese hatte sie zuvor vom Publikum und Mitwirkenden an dem Projekt auswählen lassen. Und das erweist sich als symptomatisch für die Bildhauerin, die längst ein viel weiteres Feld beackert, arbeitet sie doch häufig mit anderen Personen - und zwar nicht nur Künstlerinnen und Künstlern - zusammen. Ihr erstes kollaboratives Projekten führte sie bereits 1986 durch, an zwei Orten namens Krakau. Weitaus weniger bekannt als die polnische Stadt ist ein kleines steirisches Dorf selbigen Namens. Während sie selbst in Polen Interviews führte, tat ihre Kollegin Beverly Piersol selbiges in Krakaudorf; man stand in permanentem Austausch, zumeist per Fax; zudem entstanden Siebdrucke aus dem Experiment. Seither kooperierte Moser-Wagner mit Vertretern einer ganzen Reihe von Professionen, vom Schriftsteller über die Musikerin bis hin zur Klimaforscherin. „Ich arbeite gerne so, dass Kräfte gebündelt werden", betont sie, „ich schätze die Netzwerktätigkeit und bin kein Konkurrenztyp."
Räumliche Zentrumsnähe ist dafür sichtlich nicht notwendig. Besucht man die heute in Wien-Floridsdorf lebende Gertrude Moser-Wagner, so muss man sich für die Anfahrt aus der Stadt ein wenig Zeit nehmen. Hier, im 21. Bezirk, erscheint Wien richtiggehend ländlich, niedrige Gebäude dominieren die Straßenzüge. Im Erdgeschoss des Hauses liegt das Atelier, im ersten Stock die Wohnung; ein schöner Garten lädt zum Sitzen und Plaudern ein.
Ein bisschen Land, ein bisschen Stadt: Dieses Prinzip scheint sich bis in die Arbeit der ehemaligen Schülerin Bruno Gironcolis zu ziehen. So entwickelte sie einerseits ein Projekt für ein Haus im zweiten Wiener Gemeindebezirk - hier erinnerte sie gemeinsam mit Musikerinnen und Performerinnen an Veza Canetti, jene Schriftstellerin, die wegen ihres übermächtigen Ehemannes Elias lange Zeit „übersehen" wurde. Andererseits ging sie bei der Regionale XII in St. Lambrecht, Bezirk Murau, unter dem Titel „nisten ziehen irren" gemeinsam mit anderen Künstlerinnen und Künstlern Fragen zu Ornithologie und Migration nach. Ausgangspunkt dafür war eine Klassifizierung von Vögeln unter Kriterien wie etwa „Durchzügler" oder „Irrgäste", die ein Pater des Stiftes St. Lambrecht erdachte und die „soziale Determinanten offen ausspricht, einen Schematismus in die Beschreibung der Tierwelt kopiert, der das Eigene vom Fremden unterscheidet" (Ulrich Tragatschnig). Von dem bildhauerischen Zugang ihres Lehrers Gironcoli, der noch ganz in der Sehnsucht nach dem Dauerhaften, Ewigen stand, entfernte sich Moser-Wagner denkbar weit. Erfreulicherweise.
Nina Schedlmayer
Stand: Mai 2013