Die Dolmetscherin von Bild und Ton
In ihren Arbeiten verschmelzen Bild und Ton: Die Videokünstlerin Michaela Grill ist eine der wichtigsten Vertreterinnen aktueller digitaler Kunst in Österreich. Sie reduziert, übersetzt, verdichtet, manipuliert. Die gebürtige Feldbacherin und ihr Pixel-Universum.
Aus einer Einreichung ihres neuen Experimentalfilms „Forêt d'expérimentation" beim österreichischen Filmfestival Diagonale ist eine Personale und am Ende noch die Auszeichnung für den besten „Innovativen Film" geworden. Man könnte sagen: 2013 war ein gutes Diagonale-Jahr für Michaela Grill. Die 41-jährige gebürtige Feldbacherin zählt zu den wichtigsten aktuellen Vertreterinnen digitaler Kunst in Österreich, ist international bekannt und seit Jahren gefragt. „Mir ist es total egal, wie man meine Filme bezeichnet. Wichtig ist es, den Menschen die Angst davor zu nehmen", sagt die Künstlerin. Hierzulande ist der Experimentalfilm oder innovative oder audiovisuelle Film dennoch ein Nischenprodukt, der außerhalb von Filmfestivals selten
auf der Kinoleinwand zu sehen ist.
Für ihren Siegerfilm „Forêt d'expérimentation" hat Grill Bilder aus dem kanadischen Urwald digital bearbeitet, verwandelt, reduziert, manipuliert und verdichtet: Die Handschrift ihrer Arbeiten ist trotz aller Digitalisierung faszinierend haptisch, fühlbar und sehr sinnlich. Es flackert, es blinkt, es zurrt, es dröhnt, es flimmert. Es ist ein experimentelles Augen-Ohren-Gefühls-Kino. Eines, das paradiesische Momentaufnahmen zu düsteren Soundteppichen liefert. „In meiner Arbeit fürs Kino bin ich ein Kontrollfreak, der jedes Pixel genau an einem bestimmten Platz haben will", erzählt Grill über ihre Arbeit, die hauptsächlich am Computer passiert.
Die Videokünstlerin führt dabei elektronisch produzierte oder elektronisch gefilterte Bild- und Tonstrukturen so zusammen, dass sie synergetisch eins werden. Ihre Arbeiten sind audiovisuell. Und werden diesem Begriff insofern gerecht, als dass sie weder „Soundtrack zum Film" noch „Bebilderung zu Musik" seien. Die in Wien lebende Filmemacherin untersucht dabei Fragen der filmischen Wahrnehmung und wie diese sozusagen in ein anderes Medium untersetzt werden können.
Die Diagonale-Jury begründete die Auszeichnung für den Preis für Innovatives Kino, der mit 10.500 Euro dotiert ist, wie folgt: „Eine Reise durch den Ort wissenschaftlicher Experimente, die diverseste ästhetische und emotionale Erfahrungen hervorruft. Eine Untersuchung eines reichhaltigen und vielfältigen Mikrokosmos, der die Betrachter/innen in sich hineinzieht."
Grills Filme fordern, daran bleibt kein Zweifel offen, die Zuseher in ihren Rezeptionsgewohnheiten heraus - durch die atmosphärische Dichte sprengen sie gewohnte Vorstellungen und Wahrnehmungen vom Sehen und Hören. Es ist ein bisschen so, als würde die gebürtige Steirerin mit dem Pinsel akustische Ölmalerei betreiben oder mit flackernden Punkten den Bass inszenieren. Die Diagonale-Jury dazu: „Ein komplexer Soundtrack, der atmosphärische Aufnahmen vor Ort beinhaltet und das berückende Wechselspiel von Licht und Dunkelheit unterstreicht."
Und trotzdem: Die Welt, wie wir sie gegenständlich wahrnehmen, bleibt in den Werken der Videokünstlerin zu erkennen: die Äste und Baumkronen in „Forêt d'expérimentation", die alten, archivierten Stadtansichten und Detailaufnahmen Wiens in „cityscape", das verlassene US-Fabriksgebäude in „monroc", in dem sie fast 30 Minuten lang ihren Arbeitsprozess - das Verfremden, Verdunkeln, Überbeleuchten, Manipulieren - auf eindrucksvolle Weise auslotet. Noch stärker wirken die Arbeiten während improvisierter Live-Performances oder Sound-Installationen mit Musikern. Vielseitigkeit steht bei Grill, die in Wien, Glasgow und London studierte, seit Beginn ihrer künstlerischen Arbeit auf dem Programm.
Bei der Diagonale gab es übrigens noch eine zweite Grill-Uraufführung: Im Rahmen ihrer Personale war ein von ihr eingeschicktes Video zum Radiohead-Song „Sit down, stand up" - eine zutiefst eindringliche und einnehmende Art, einen Song zu konsumieren - erstmals zu sehen. Aus der Zusammenarbeit mit Thom Yorke und Co. ist leider nichts geworden.
Erstmals aber hat Grill selber ihre Filme dann auch als Gesamtkunstwerk in einer Projektion beim Filmfestival in Graz betrachten können: Im anschließenden Publikumsgespräch sagte Grill, rückblickend auf 14 Jahre digitale Kunst: „Ich würde an keinem meiner Werke weiterarbeiten wollen." Nachsatz: „Meine früheren Arbeiten waren ganz schön hardcore."
Julia Schafferhofer
Stand: April 2013