Die Kunst des Fragebogens
Das IEFS Kiesling & Stolberg, das Institut für Experimente und Fragen zu Sozialeinheiten, untersucht gesellschaftliche Prozesse nach eigenem Gutdünken. Das ist zwar keine Wissenschaft, dafür aber Kunst.
Einige werden sich vielleicht noch erinnern können, für was das Akronym IEFS einst stand. Nämlich für Institut zur Erforschung des Forum Stadtpark. Das war 2004, als das Institut von Ursula Kiesling und Maki Stolberg gegründet wurde. Kiesling arbeitete damals für die IG Kultur Steiermark, Stolberg betreute ein Kunstvermittlungsprojekt im Forum Stadtpark. Und die beiden dachten sich: Gut, es gibt diesen Verein Forum Stadtpark, seine Geschichte ist historisch doch einigermaßen gründlich aufgearbeitet. Aber ist eigentlich auch bekannt, welche Personen dahinter stehen, wer Mitglied ist, wie die Seilschaften und Netzwerke aussehen? Also gingen sie daran, sich die Sache etwas genauer anzusehen. Das war die erste Fragebogenaktion des IEFS Kiesling & Stolberg.
In Folge benannten die beiden ihr Unternehmen in Institut für Experimente und Fragen zu Sozialeinheiten um. Sozialeinheiten? „Alles, was wir untersuchen, wird zu einer Sozialeinheit erklärt", erläutert Kiesling. „Ob wir nun an einem Radweg stehen und die Vorbeikommenden zählen, ober ob wir einen Verein oder eine Wohngemeinschaft unter die Lupe nehmen." Das Institut wird also seinem Namen gerecht, es untersucht. Zum Beispiel eben Kunstvereine wie das Forum Stadtpark. Wie es auch die Mechanismen von Kooperationen durchleuchtet oder die Funktionsweise von Gruppen und Netzwerken analysiert. Vor allem ist die Beschaffenheit des öffentlichen Raumes ein Forschungsschwerpunkt. Um diesen Untersuchungen eine Aura von Autorität zu verleihen, tragen die beiden bei ihren Aktionen und Performances gerne weiße Mäntel. Diese traditionelle Symbolik der Wissenschaft setzen sie natürlich nicht frei von Ironie ein.
Stolberg ist gebürtige Innsbruckerin, studierte an der Universität für angewandte Kunst bei Peter Weibel, lebt heute in der Nähe von Weiz in Gutenberg an der Raabklamm und arbeitet hauptberuflich an einer berufsbildenden Schule. Sie hat drei Kinder. Auch Kiesling hat drei Kinder, lebt in Wien und verdient ihr Geld mit Kulturmanagement-Projekten. Die gebürtige Grazerin hat in Wien Publizistik studiert, in Graz Geschichte und ist auch als Literatin aktiv. Allerdings, so muss sie gestehen, mangelte es ihr dafür in den letzten Jahren ein wenig an Zeit wie auch an Disziplin. Derzeit aber arbeitet sie sehr konsequent, so erzählt sie, an einem umfangreichen historischen Roman. Die Schlaglichter auf die Biographien der beiden heben vor allem eines hervor: Stolberg und Kiesling leben räumlich voneinander getrennt und haben auch abseits der Kunst einiges zu tun. Trotzdem schaffen sie es, jährlich an die drei Projekte auf Schiene zu setzen. Beim heurigen sogenannten April-Festival der Initiative kunst ost etwa werden sie den „Tag der Fahne" ausrufen. Der Hintergrund: Am Dorfplatz von Gutenberg stehen drei Fahnenmasten. Beflaggt sind sie mit der österreichischen Nationalflagge, der steirischen Landesflagge - und mit der Flagge des Raiffeisen-Konzerns.
„Interessant, dass das am Land so unwidersprochen passiert. Und dass Raiffeisen das Land quasi als seinen Firmengrund sieht," meint Kiesling. Stolberg sagt: „Vielleicht war man auch bloß nachlässig und hat gar nicht darüber nachgedacht." Jedenfalls hat sich Stolberg am Gemeindeamt erkundigt, wer denn nun eigentlich für die Beflaggung verantwortlich ist. Am nächsten Tag war die Raiffeisen-Fahne verschwunden. Könnte natürlich bloß ein Zufall gewesen sein. Um jedenfalls ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wem denn nun eigentlich der öffentliche Raum gehört, und um symbolische Macht transparent werden zu lassen, werden Kiesling und Stolberg in diesem April 2013 am Dorfplatz ihre eigene Flaggenparade aufziehen. Wie genau, soll eine Überraschung sein.
Die Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Raum macht - wie erwähnt - einen Großteil der Arbeit des IEFS aus. Eine beispielhafte Interventionsreihe etwa war „Subtile Transfers" im Jahr 2010. Stattgefunden haben die Forschungsaktionen im steirischen Raabtal, im ehemaligen Karthografischen Institut in Wien und im deutschen Landkreis Uckermark in der Nähe von Berlin. Hinterfragt wurden die Definitionsweisen des öffentlichen Raums: Wie er für einen selbst in Beschlag genommen werden könnte, wer eigentlich drinnen ist, wer draußen steht. Dabei passen die Performances, Aktionen, Installationen oder Markierungen der beiden Künstlerinnen nicht immer in eine Galerie, schon gar nicht ins Museum. Selbst wenn sie ihre Arbeit mit Fotos oder Videos dokumentieren - die eigentliche Kunst ist der Prozess selber.
Mitunter aber geht es sich dann doch aus: Für das Projekt „Shop" haben sie im Jahr 2009 die kleine Galerie Sumpfhahn im Berliner Wedding in ein archetypisches Straßenlokal umfunktioniert. Ähnlich wie die anderen Budenbesitzer haben sie dort für die Öffentlichkeit sichtbar tagelang gewerkelt, allerdings an Kunstobjekten, und haben somit gewissermaßen den Alltag im Kiez paraphrasiert. Und die entstandenen Objekte - künstlerisch gestalte Karten oder Gipsskulpturen - hielten in diesem Fall später nochmals Einzug in eine Galerie. Nämlich als das IEFS voriges Jahr die Shop-Situation in der Hartberger Galerie 44QM als Installation re-inszenierte. Erkenntniswert? „Es muss am Ende nicht unbedingt eine Erkenntnis stehen", sagt Stolberg. „Uns beschäftigen bestimmte Fragen. Die Informationen, die wir etwa durch Fragebögen oder Interviews erhalten, sind zur jeweils eigenen Verwertung und um an einem gewissen Thema weiterzuarbeiten. Für mich ist es so, dass Kunst dazu da ist Fragen aufzuwerfen und nicht, um sie zu beantworten."
Tiz Schaffer
Stand: April 2013