Die Augen öffnen für die Dinge, die da sind (*)
Die Künstlerin und passionierte Netzwerkerin Luise Kloos ist in verschiedenen Sparten zuhause.
Sie ist in der Performance ebenso zuhause wie in verschiedenen Sparten der bildenden Kunst - sie malt und zeichnet, ist Objektkünstlerin, Kinderbuchillustratorin, Fotografin und Aktionskünstlerin. Ihre Arbeiten sind international bekannt, sie wird zu Festivals nach Kroatien, Bosnien und Serbien eingeladen und zu Ausstellungen nach New York und London; zum europäischen Kulturhauptstadtjahr in Turku wird sie einen Beitrag leisten. Sie organisiert Festivals, Schulworkshops und Tanzprojekte, Fragen des Zusammenlebens der Kulturen beschäftigen sie ebenso wie ökologische und religiöse Themenstellungen.
Luise Kloos ist wohl eine der vielseitigsten Künstlerinnen der Steiermark, aber Beliebigkeit ist ihre Sache nicht: „Kunst", sagt sie, „heißt für mich den Menschen die Augen öffnen für die Dinge, die ohnehin da sind." Diesem Imperativ wird auch ein neues Projekt gehorchen, das sie gerade entwickelt - „ein ,Bergprojekt‘, das viele Fragen stellen wird, z. B. wie sich der Klimawandel in diesen Breiten auswirken wird, die Frage nach der Arbeit der Frauen in diesen Gegenden, nach der lokalen Volkskultur, nach den Zeugnissen anderer Kulturen in diesen Breiten ..." Ihre Worte sind zurückhaltend und bestimmt wie die Produkte ihres künstlerischen Schaffens.
Die Rolle der KünstlerInnen bei der Transformation der Gesellschaft. Die Beschäftigung mit der Diversität, den Interferenzen und dem Zusammenleben von Kulturen zieht sich als roter Faden durch Kloos' Schaffen. Am 29. April wird sie in Brüssel AS_TIDE präsentieren, ein Kunstprojekt, das in Zusammenarbeit mehrerer europäischer Kunstvereinigungen unter Beteiligung des von Kloos 1995 gegründeten Vereines „next" entstanden ist und dessen Ziel die Konstitution eines europäischen Netzwerkes ist, das auf eine kollektive europäische Identität unter Beibehaltung der kulturellen Vielfalt abzielt - letztendlich gehe es darum, dass die KünstlerInnen ihre Verantwortung bei der Transformation der europäischen Gesellschaft wahrnähmen, sagt Kloos. Das internationale Ensemble „Zeitfluss", das seine Aufführungstätigkeit auf die Werke von Komponisten des 20. Jahrhunderts fokussiert, wird bei der Präsentation eine Komposition von Anselm Schaufler aufführen - „ein Stück, das von heimischer Volksmusik in ein persisches Traditionsstück übergeht und dessen Struktur wieder in die lokale musikalische Tradition transformiert".
Künstlerische und soziale Intervention. Im Rahmen von AS_TIDE sind im Oktober 2008 in Graz 19 KünstlerInnen aus verschiedenen Ländern Europas zu einem „Artists-in-Residence"-Projekt unter dem Titel H.E.I.M.A.T. zusammengetroffen. Teil des Programms war die Etablierung eines „Transracial Institute" - das vorgab, ähnlich einer Geschlechtsumwandlung per Operation zur gewünschten ethnischen Identität zu verhelfen: Verfremdung und Übertreibung als bewährtes Mittel, Vorurteile und Tabus zu entlarven.
Bei Kloos ist die Grenze zwischen künstlerischer und sozialer Intervention durchlässig bis nicht existent: Bei einem Projekt im Pfarrkindergarten Karlau, zu dem auch die Eltern eingeladen waren und an dem u.a. die Tänzerin Christina Medina mitwirkte, wurden „festgefahrene Verhältnisse durch Tanz und Bewegung aufgebrochen", erzählt Kloos. Die KünstlerInnen konnten an einer Stadtführung durch SchülerInnen der Andräschule teilnehmen und lernten so Graz aus dem Blickwinkel von Kindern kennen, die in ihrer großen Mehrheit aus Familien mit Migrationshintergrund stammen.
Kinder sind professionelle Akteure
Performance-Workshops mit Kindern machen einen wichtigen Teil der Arbeit von Luise Kloos aus. Auslöser dafür war nicht etwa die pädagogische Vorbildung der Künstlerin, sondern die Arbeit an der Ausstellung „Bananenrot und Himbeerblau" am Landesmuseum Joanneum 1998, die in das gleichnamige - gemeinsam mit Kindern gestaltete - Buch mündete. Es folgten Aufträge der Internationalen Tanz- und Bühnenwerkstatt, Performance-Werkstätten für Kinder auszurichten; voriges Jahr war sie beim Kinderkulturfestival im kroatischen Sibenik zu Gast, wo sie eine Performance entwarf, deren Bewegungen vom Gedicht „Zwölf" des Dadaisten Kurt Schwitters ausgingen. Heuer wird Kloos eine Kinderperformance in Osijek betreuen. Das Thema: „Die Freiheit träumen". Eine Einladung nach Sarajewo zu einem ähnlichen Event wurde ebenfalls bereits ausgesprochen.
Wer meint, dass es bei diesen Performances vorrangig um den Spaß der jungen Mitwirkenden geht und der Weg dabei das Ziel ist, täuscht sich: „Egal wie alt die Kinder sind, das professionelle künstlerische Ergebnis steht im Vordergrund - und die Kinder begreifen das auch so." Egal ob es um Aufgabenstellungen gehe, wie verschiedene Emotionen durch eindeutige Körperhaltungen darzustellen oder sich in unverständlichen Sprachen zu unterhalten: „Die Kinder haben Ideen, auf die ich selbst nie käme, sie entwickeln enorme Fähigkeiten und verhalten sich wie professionelle Akteure."
Threads of Light
Trotz allem Engagement in der Arbeit mit Kindern bleibt die bildende Kunst der Schwerpunkt von Kloos' künstlerischem Schaffen. Mit ihrer Installation „Threads of Light - Memorial to Lost Souls" am Yeshiva University Museum in New York hat sie ein tief berührendes Holocaust-Memorial geschaffen. Senkrecht verlaufende Glasfasern stellen den Bezug zu den Duschen in den Konzentrationslagern dar; die am Boden liegenden Steine sind ein Verweis auf den jüdischen Brauch, bei Friedhofbesuchen Steine auf die Gräber der Verstorbenen zu legen. Die harfenartige Bewegung der im Licht schwingenden Glasfasern transzendiert die Erinnerung an das Geschehene. Glasfasern spielen - diesmal als Ausdruck fortgeschrittener Technik - auch eine wichtige Rolle in neueren Arbeiten von Luise Kloos. Sie hat sie in eine ihrer jüngsten Performances („Streaming") integriert, die dem Thema „Natur und Technik" gewidmet war und im September 2008 als Auftragsarbeit der AVL Cultural Foundation in der Helmut-List-Halle aufgeführt wurde (Choreografie: Liz King, Musik: Erdem Tunakan).
2007 erging die Einladung zur Teilnahme an einem von der Ben-Uri-Gallery London ausgeschriebenen Wettbewerb für jüdische Kunst, bei dem die von Kloos eingereichte Arbeit als einzige einer nichtjüdischen Künstlerin unter die 18 ausgewählten kam.
„Es ist alles geschrieben."
Wahrscheinlich haben alle Werke von Kloos eine spirituelle Dimension; und so wie Joseph Beuys, dessen Aktion „Stattverwaldung statt Stattverwaltung" sie in diesem Zusammenhang zitiert, ist ihr das Verhältnis zwischen Kunst und Umwelt im weitesten Sinn der Wortbedeutung - sie sagt „Schöpfung" - besonderes wichtig: „Es ist eine künstlerische Sichtweise nötig, um zu erkennen, dass man sich in der Schöpfung demütig bewegen soll." Es gibt in einem Teilbereich ihres Schaffens aber auch den direkten Bezug zur Religion - und direkt ist hier im Wortsinn gemeint. Schon vor einigen Jahren hat sie mit „1000 Namen" einen Vorläufer jener Installation geschaffen, an der sie heute arbeitet. Auf Stoffbahnen gestickte Auszüge aus den Schriften der großen Religionen dieser Erde sollen einen intimen Raum bilden, der den darin Eintretenden die Schönheit dieser Texte ohne Unterschied ihrer Herkunft vor Augen führen soll. Den Ursprungstexten soll nichts hinzugefügt werden, keine Erläuterung, keine Interpretation. Denn: „Es ist alles geschrieben."
Christian Stenner
März 2009
(erschienen in der Reihe „ARTBox" der Zeitschrift „korso")
Luise Kloos ...
... lebt und arbeitet in Graz. Nach dem Abschluss ihres Pädagogikstudiums Studium an der Architekturfakultät der TU Graz (Künstlerische Gestaltung) und als ao. Hörerin an der Akademie der bildenden Künste Wien. 1995 Gründung von next - Verein für zeitgenössische Kunst. 1999 Österreichischer Kinder- und Jugendliteratur-Sachbuchpreis, 2005 Anerkennungspreis Maecaenas Steiermark und Maecaenas Österreich, 2007 Finalist at the International Jewish Art Award (Ben Uri Gallery, London), 2009 Josef-Krainer-Preis. Lehraufträge an der Universität Graz, der FH Joanneum, dem Bildungshaus Schloss Retzhof und an der University for Technical Engineering, Kerala. Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen, u. a. in Graz, Zagreb, Zadar, Beograd, Cochin (Indien), Mostar, Miskolc, Tallinn, New York etc.
(*) Update 2012
Zu unserem Treffen in einem Café bringt Luise Kloos einen dicken Sack mit Katalogen mit - die Dokumentation einiger der Projekte, an denen sie als Künstlerin, Ideengeberin und passionierte Netzwerkerin seit 2009 gearbeitet hat. Drei Jahre sind seit dem Künstlerinnen-Porträt vergangen, das Christian Stenner über Luise Kloos geschrieben hat - eine Zeit, in der Künstlerin unzählige Mal im Ausland war, um Projekte aller Art umzusetzen: Ausstellungen, Szenografien und Workshops unter anderem in Kroatien, Finnland und Dänemark. Dazu wurden Projekte mit Brüssel abgewickelt, bestehende Kontakte nach New York gepflegt und über die Rolle chinesischer Migrantinnen in Europa reflektiert. Umso absurder, dass Arbeiten und Projekte von Luise Kloos in heimischen Kunstfördergremien auch schon als „internationale nicht relevant" abgetan wurden - was von der Ignoranz zeugt, zu der heimische Kunstfördergremien imstande sind. Zumal diese Gremien besetzt sind von Leuten, die - so Luise Kloos - „selber in der Kultur ihre Interessen verfolgen und selber am Fördertropf hängen: Das sehe ich als riesiges Problem."
Licht, Grafik und Berge
Doch eins nach dem anderen. Wir wollen, bevor wir über Kulturpolitik sprechen, zuerst über die Kunst reden, über Arbeiten mit Licht, über Grafik und über Berge. Oder Reisen überhaupt. Denn die Verbindung von künstlerischer Wahrnehmung und Bewegung kennzeichnen mehrere der jüngeren Projekte, an denen die Künstlerin beteiligt war. Da ist einmal das „Bergprojekt" von 2010 zu nennen, in dessen Rahmen Luise Kloos gemeinsam mit dem kroatischen Künstler Josip Zanki und Künstlern aus Kroatien, Wales und Bangladesch 2010 das Velebit-Gebirge in Kroatien, die Seetaler Alpen in der Steiermark und die Black Mountains in Wales. Der in Folge entstandene Katalog „Velebit / Alps / Black Mountains" wurde in den Kunstbuchsalon des neuen 21er-Hauses in Wien aufgenommen.
2011 stellte Luise Kloos Zeichnungen in den Räumen der Akademie Graz aus. Danach führte die Reise über die baltischen Staaten in die Europäische Kulturhauptstadt Tallinn in Finnland. Gemeinsam mit weiteren Mitgliedern der Gruppe 77 verwandelte Kloos unter dem Titel „Lichtwechsel" die Wirtschaftsfakultät der Universität Tallinn in einen temporären Ausstellungsraum. Kloos zeigte Arbeiten mit Vorhängen aus Glasfasern und Visuals, die im Rahmen einer Bühnengestaltung 2010 in Kopenhagen entstanden waren. Zwei bibliophil gestaltete Bildbände, im niederösterreichischen Verlag „Bibliothek der Provinz" erschienen, geben Auskunft über diese Reise.
Im selben Jahr organisierte die Künstlerin in Graz eine Tagung der „Nomadischen Universität für Kunst, Philosophie und Wirtschaft", die Kloos 2003 mitbegründet hat. Thema der Grazer „Oase" der Nomadic University: „China Goes Europe". „Das Thema haben wir im Hinblick auf die anstehende Gründung eines Konfuzius-Instituts in Graz gewählt", erzählt Kloos. Über 75 Künstler und Theoretiker haben sich damals in Graz getroffen und über kulturelle, philosophische und wirtschaftliche Bande zwischen China und Europa gesprochen. Im Rahmen eines Folgeprojektes wird im Dezember 2012 das Buch „Ein Regenbogen kennt kein Heimweh. Lebensentwürfe chinesischer Frauen" vorgestellt werden. Luise Kloos‘ Verein „next" hat dazu in Kooperation mit dem Grazer Konfuzius-Institut 10 Autorinnen eingeladen, die Lebenswege chinesischer Migrantinnen nachzuzeichnen.
35 Jahre Gruppe 77
Wesentlicher Bestandteil des Schaffens von Luise Kloos ist ihr Engagement als Präsidentin der Grazer Gruppe 77. Als solche prägte sie das 35-jährige Jubiläum anno 2012 entscheidend mit. Gefeiert wurde mit der Ausstellung „one two" in der Grazer Galerie Eugen Lendl, in der Zeichnungen gezeigt wurden, die im Dialog zwischen den Künstlerinnen und Künstlern der Gruppe 77 entstanden sind. Mit dem neuen Schwung, den sich die Gruppe darauf geholt hat, will man 2013 ein nachhaltiges Kunstprojekt im öffentlichen Raum realisieren und wieder verstärkt junge Künstler ansprechen.
Luise Kloos selbst wird 2013 wieder - wie bereits 2009 - im jüdischen Yeshiva University Museum in New York ausstellen. Und sich darüber hinaus weiter für eine steirische Kunstakademie einsetzen. Als Vorbild dafür könnte der Lehrstuhl für Bildende Kunst der Universität von Zadar dienen. „Das Angebot dort ist offen für Studentinnen und Studenten aller Studienrichtungen", erzählt Kloos, die in Zadar bereits mehrfach zu Workshops eingeladen war. „Gastprofessoren gestalten wochenweise Workshops zu eigenen Themen. Dieses Prinzip wäre auch gut in Graz machbar, aber es ist sehr schwer, hier mit dieser Idee Gehör zu finden."
Auf ihre ruhige, aber beharrliche Art wird sich Luise Kloos weiterhin für diese - und andere Ideen - einsetzen. „In der Kunst sehe ich, dass Ausdauer eine der wesentlichen Charaktereigenschaften ist, die es braucht, um durchzuhalten und die eigenen Sachen wirklich anzubringen. Alles, was einen nicht durchkommen lässt, muss man als Reibungsfläche sehen, die einen vorwärts bringt. Dass man nicht aufgibt, sondern sich überlegt: Wie kann ich es anlegen, dass ich trotzdem schaffe?"
Was sie auch schaffen will: Die Gewichtung von bestimmten Wertungen im Kunstbetrieb infrage stellen. In den Worten der Künstlerin und Kulturmanagerin: „Der Bedarf, sich künstlerisch zu artikulieren, ist weitaus größer, als in gewissen Zirkeln verhandelt wird, und es ist wichtig, dass diese künstlerische Artikulation auch in diesen erweiterten Kreisen geschieht, und zwar mit Qualität geschieht. Wenn man Kunst nur mehr auf das reduzieren würde, was Kulturjournalisten in bestimmten Magazinen besprechen, dann wäre das kulturelle Leben sehr schnell um sehr vieles ärmer. Die Resonanz in solchen Medien kann kein allgemeingültiges Kriterium für die Evaluierung von Kunstprojekten sein."
Werner Schandor
Stand: November 2012