Der Weltenbummler
Claudius Körber erlebt den Schauspielberuf als Reise von einer ästhetischen Welt in die nächste.
Vor ziemlich genau fünf Jahren, im November 2007, hatte Sophokles' „Oedipus" am Grazer Schauspielhaus Premiere. Ingo Berk legte eine mutige Inszenierung hin, die ganz auf die Schauspieler baute: Im intimen Rahmen der Probebühne, die sich als oval office aus den 50-er-Jahren präsentierte, wurde die antike Tragödie in ihrem uralten dramatischen Ernst ausgerollt - ohne Ironisierung oder Brüche, ohne tollpatschige Aktualisierungsversuche oder Abweichungen zu Gunsten einer zeitgemäßen Dramatik. „Wir hatten genau zwei Lichteinstellungen", schmunzelt Claudius Körber, der damals den Titelhelden verkörperte. Körber war die Entdeckung des Abends. Direkt vom Reinhardt-Seminar kommend gab er seine erste Hauptrolle am Haus: einen zerbrechlichen, verzweifelten, einen wirklich glaubwürdigen Oedipus, der ohne irgendein dramatisches Hilfsmittel die tragische Tragweite der antiken Figur erlebbar machte: ein echtes Kunststück. Oder besser: ein Stück echte Kunst.
Claudius Körbers Talent für etwas, was sich nicht anders beschreiben lässt denn als „theatralische Wahrhaftigkeit" - für die glaubwürdige Verkörperung von Rollen mit sehr großer Fallhöhe -, wurde bald auch einem größeren Publikum bewusst. In der Saison 2009/10 gab er den Macbeth, in der Saison darauf Hamlet und Peer Gynt, 2011/12 folgte die Titelrolle in Don Carlos. Die Liste ließe sich fortsetzen. Oder anders formuliert: Brachte das Schauspielhaus in den letzten Jahren einen großen Bühnenklassiker, gab Claudius Körber mit großer Wahrscheinlichkeit die Titelrolle. Jede dieser Rollen war bei ihm in guten Händen, mehr als das: für seine Leistung als Hamlet und Peer Gynt wurde er zum ersten Mal für den Nestroy nominiert, als bester Nachwuchsdarsteller der Nation. Beim Nestroypreis 2012 hat man ihn für den Publikumspreis aufgestellt, eine Ehre, die er sich u. a. mit Johannes Krisch, Michael Maertens, Sunnyi Melles, Birgit Minichmayr und Nicholas Ofczarek, Peter Simonischek oder Katharina Straßer teilt.
Spricht man Körber selbst auf das Geheimnis seines künstlerischen Erfolgs an, bleibt der 1982 in Dresden geborene Schauspieler nüchtern, ja bescheiden: „Ich glaube, ich bin recht fähig im Umgang mit meinem Körper, ich kenne ihn, kann ihn kontrollieren, er spielt mir zu." Und, nach einer Nachdenkpause: „Ich bin als Schauspieler schnell und recht flexibel. Und ich habe selten grundlegende Probleme mit einem Regisseur. Weil ich immer Lust habe, mich auf dessen Welt einzulassen. Ich stehe mir da nicht selbst im Weg." Trotzdem war Körber beim „Hamlet" „froh, dass ich - wenn ich diese Rolle schon einmal spielen durfte - mit Theu Boermans einen Regisseur hatte, der mich auch wirklich spielen ließ - und uns nicht in ein Konzept zwang, mit dem ich womöglich gar nichts anfangen hätte können."
Wenn Claudius Körber von Flexibilität spricht, ist das kein Verweis auf seine technischen Qualitäten und auch kein Zitat aus der schönen neuen Arbeitswelt. Es beschreibt viel mehr die innere Haltung eines Künstlers, dem es ums Lernen, Wachsen, um Veränderung geht: „Das ist ja das schöne an diesem Beruf, dass man immer wieder neue Regisseure hat. Und jeder Regisseur hat seinen eigenen Kopf, seine eigene Herangehensweise an einen Text. Man muss immer wieder völlig neue Welten kennenlernen, sich hineindenken und verändern." Fragt man den Künstler nach seinen liebsten Arbeiten in Graz, fallen ihm daher auch jene ein, die eine Herausforderung bedeuteten: Ibsens „Nora" zum Beispiel, unter der Regie von Wojtek Klemm, der die Arbeit ganz unkonventionell anging: „Ich habe auch länger gebraucht damit umzugehen, die Struktur des Abends zu verstehen, eben nicht rein psychologisch eine Figur zu führen, sondern sie über eine Formsprache zu präsentieren." Als ebenso zarter wie zynischer Dr. Rank geisterte Körber hier über die Bühne, ein Sterbender, der lebenstrunken taumelt und ins Abseits kippt.
Als Claudius Körber das Reinhardt-Seminar abschloss, gab es nicht nur ein Angebot aus Graz, auch das berühmte Berliner Ensemble hätte ihn gerne gehabt. Dort allerdings wäre er wohl noch einmal zwei Jahre „in die Lehre gegangen", von Hauptrollen á la Hamlet gar nicht zu reden. Letztendlich hat sich der junge Schauspieler für das kleinere Haus entschieden, bei dem er aber das Gefühl hatte, dass echtes Interesse an ihm und seiner Arbeit bestünde. Dieses ist inzwischen auch aufs Publikum übergesprungen. Graz ist Feuer und Flamme für seinen
Senkrechtstarter. Egal ob jetzt die Minichmayr den Nestroy bekommt, der Simonischek oder doch ... der Körber.
Hermann Götz
Stand: Oktober 2012