Im Lebenswarteraum
Die Autorin Andrea Sailer entzieht sich allen Klischees.
In ihrer Textsammlung „Saisonschluss" (1999) beschreibt Andrea Sailer das Leben als Warterei und enttäuschte Erwartungshaltung. „Immerzu saß ich in Warteräumen/ Doch jedesmal/ Wenn ich an die Reihe kam/ Wurde die Ordination geschlossen/ Und der Arzt ging auf Urlaub/ Doch ich wartete immer weiter/ (...)/ Alle, die dort saßen/ Waren Kinder wie ich/ Manche hatten weißes Haar/ Oder einen Zahnersatz/ Oder einen Stock an der Hand/ Doch ich werde nicht mehr mit ihnen warten/ Denn gestern/ War ich zum letzten Mal jung."
Andrea Sailer habe ich zum ersten Mal im Fernsehen gesehen, als Kandidatin einer Quiz-Show. Jahre später hat mich der Fotograf Helmut Utri angerufen, um mir seinen Besuch anzukündigen. Er wolle jemanden mitbringen, nämlich Andrea Sailer. Ich wartete dann allerdings vergeblich auf beide.
Von allen Dingen, die ich schlecht kann, kann ich am schlechtesten warten.
Und aus literarischen Gründen wäre es jetzt am besten, ich würde mein Leben als Warten auf Andrea schildern. Aber am 19. Mai 2000 bei den Minoriten war es dann so weit. Seither tauschen wir regelmäßig Katzenfotos aus.
Andrea Sailers Texte, meist kurze Prosastücke oder auch längere Prosagedichte, sind zugleich komisch und pessimistisch. Sie beschreiben Desillusionierungen. Bei aller Unterhaltsamkeit ist der Blick, den sie auf die Dinge des Lebens wirft, ein ziemlich böser. Ein gutes Beispiel dafür ist „Anzeigenreigen oder Cary Grant kommt heute später". In dieser Rollenprosa werden die geschlechtlichen Aspekte der Geschlechterbeziehungen satirisch beleuchtet. Eine ältere Frau erinnert sich an ihre Liebhaber, einer verheerender als der andere. (Und da Ich-Erzählerin und Autorinnen-Ich gerne irrtümlich gleichgesetzt werden, erhielt Andrea auf Grund dieses Textes Briefe von Männern, die ihr einschlägige Angebote unterbreiteten, unter der Verheißung, es garantiert besser zu machen.) „Und das mit dem Sex, das ist doch alles eine glatte Lüge. Wir treiben doch alle der Harninkontinenz entgegen, was spielt Reizwäsche da schon für eine Rolle? Wir werden alt, und ich werde es schon in nächster Zeit. Dann werden andere Dinge wichtig. Dann verkaufe ich mein Vibratorset und erstehe ein Blutdruckmessgerät (...). Dann suche ich in meinen Anzeigen eine Hauskrankenpflege und keinen Mann."
Elfriede Jelinek hat einmal bedauert, dass es nur wenige Satirikerinnen gebe. Woran das liegt, ist so schwer zu bestimmen wie die Geschlechterdifferenz. Die Satire mit ihrer aggressiven Tendenz steht wohl eher unter dem Einfluss des Mars.
Beziehungen werden in ihren Texten generell skeptisch beurteilt. Ob das resignative Pose zur Gewinnung wohlfeiler Pointen oder auf fundamentaler Enttäuschung beruhender poetischer Selbstbezug ist, bleibt dahingestellt. „Sie hatte früher ihn so lieb/ Heut ist er nicht mal mehr ihr Typ/ Doch, ach! er blieb". An solchen Zeilen mit ihrer kabaretthaften Leichtigkeit und Schlagfertigkeit lässt sich ablesen, dass sie auch Beiträge für die „Grazbürsten" liefert.
Andreas eindrucksvolle dunkle Stimme kennen nicht nur die Besucher ihrer Lesungen, sondern auch die Hörer ihrer Radiokolumne „Gedanken zur Zeit". Ihr Lebensstil gilt manchen als schrullig. In ihrem neuen Buch „Einstweilen wird es Abend" reimt sie: „Wer mailt und skypt/ Gehört entleibt". Andrea Sailer, Jahrgang 1972, Studium der Philosophie und Anglistik, lebt nach wie vor in ihrer Geburtsstadt Weiz und verweigert sich generationsuntypisch hartnäckig der Digitalisierung, sie schreibt mit der Hand und auf einer mechanischen Schreibmaschine und zieht die Gesellschaft ihrer Haustiere (Katzen und Meerschweinchen) den sozialen Netzwerken der Literaturbetriebsamkeit vor. Erschwerend kommt hinzu, dass Sailer praktizierende Katholikin ist, wovon man sich paradoxerweise im Internet überzeugen kann.
Würde man die Auflagen arrivierter Autoren veröffentlichen, käme das einer Rufschädigung gleich, stand vor einigen Jahren in der „Zeit". Sailers Bücher, der Roman „Das einzige Abenteuer" (2003) und vor allem ihre zahlreichen Textbände („Am Ende des Tages", 1996; „Eine Art Himmel", 2004; „Von Käfern und Menschen", 2007), haben jeweils mehrere Auflagen erlebt. Und das in österreichischen Verlagen wie Leykam. Sie sei eben volkstümlich, sagte die Autorin einmal lächelnd zu mir. Und das ist nicht einmal so ironisch, wie es klingt. Was ihren Nonkonformismus auf die Spitze treibt.
Was haben wir von ihr noch zu erwarten? In den letzten Jahren hat sie intensiv an einem Roman gearbeitet, über den sie noch nichts verraten will. Und was haben wir ganz allgemein vom Leben zu erwarten? Nur noch Arrangement, unvermeidliches Abfinden mit dem Vermeidbaren: „Und warten unerbittlich bitter werdend/ Weiter bis zum Tod/ Verlassen ratlos und erschöpft die Welt/ Und haben vielleicht nie gewusst/ Dass wir zu viel erwartet haben/ viel zu viel/ (Von Menschen allemal)".
Günter Eichberger
Stand Mai 2012