Die Faszination des öffentlichen Raumes (*)
Der Fotograf Mario Liftenegger dokumentiert in seinen Bildern Erinnerungskultur und Auflösungsprozesse.
Murals, Wandmalereien in der Hauptstadt Belfast, können als eine Art Spiegelbilder des jahrzehntelangen Konfliktes in Nordirland betrachtet werden. In oft allegorischer Darstellung greifen zumeist anonyme Maler geopolitische Themen auf beziehungsweise fungieren die murals als Denkmale zu Ehren der während der Unruhen gefallenen loyalistischen und republikanischen Paramilitärs. Damit stehen die nordirischen murals aber auch für eine Denkmalkultur nicht offizieller Kollektive und sind Teil des kulturellen Gedächtnisses, nachdem Darstellungen inhaltlich oft weit in die Geschichte Irlands respektive in die Ursprünge des Nordirland-Konfliktes reichen.
Der 1983 in Graz geborene Historiker und Kulturmanager Mario Liftenegger ist seit einigen Jahren als Fotograf aktiv und konzentriert sich auf Gedächtnis- und Erinnerungsorte. Während eines ersten Aufenthalts 2006 in Belfast begann er sich für die murals zu interessieren. Inzwischen arbeitet er an einer Dissertation zum Thema Erinnerungs- und Gedächtniskultur am Beispiel der nordirischen Wandmalereien. Eine vergleichbare Form in Europa sieht Liftenegger bisher nur im Baskenland, während die Herkunft dieser Tradition vorwiegend politisch orientierter Wandmalerei, seines Erachtens, nach Lateinamerika führt. Beispielsweise nach Mexiko, wo sich die „Muralismo" ausgehend von der mexikanischen Revolution in den 1920er Jahren mit Fortdauer zur Nationalkunst entwickelten. Zu den wichtigsten Vertretern zählen bis heute die „Los Tres Grandes", darunter auch Diego Rivera, der Gatte von Frida Kahlo, aber auch Aurora Reyes, 1936 die erste weibliche Vertreterin dieser Kunstform, der sich in Latainamerika besonders linkspolitisch aktive KünstlerInnen widmeten.
Bestehende Wandmalereien, erzählt Mario Liftenegger, werden immer wieder restauriert und in den Farben aufgefrischt. Viele werden auch infolge aktuellerer Ereignisse übermalt. Inzwischen versucht die Regierung Nordirlands auf die Maler einzuwirken, um die Inhalte der murals möglichst zu entmilitarisieren. „Nur wenige Wandmaler sind namentlich bekannt, auf katholischer Seite etwa Danny Dewaney. Die meisten haben das Malen in den Gefängnissen gelernt und bringen ihre Bilder im Umfeld unionistischer oder republikanischer Ideologie auf die Wände. Bekannt ist auch eine Gruppe, die sich Bogside Artists nennt. Deren Bildinhalte sind zumeist nicht politisch orientiert. Sie sind die Einzigen, die sich als Künstler bezeichnen und sie wurden auch zu Festivals in die USA eingeladen". Die älteste von ihm erfasste Wandmalerei datiert Liftenegger auf das Jahr 1908, als unionistische Maler den Sieger der Battle of the Boyne, Williams III. von Oranien, darstellten. Die Unionisten begannen schließlich ebenfalls, den öffentlichen Raum im Umfeld der murals zu bemalen, also zu bezeichnen, indem sie etwa Randsteine oder Laternenmasten mit den Farben des Union Jack markierten. Darauf basiert eine visuelle Trennung von Wohnvierteln. Republikanisch / katholische murals dagegen haben ihren Ursprung in der Zeit der nordirischen Bürgerrechtsbewegung, 1968 in Londonderry. Während des Hungerstreiks republikanischer Gefangener 1981 stieg die Zahl republikanischer Murals rapide an. Motive waren dominiert vom bewaffneten Kampf gegen die Briten.
Wenzel Mraček, korso-ARTbox 2008
Update Februar 2012:
Es ist die Faszination des öffentlichen Raumes, die der Grazer Fotograf Mario Liftenegger in Bildern festzumachen versucht. Mario Liftenegger nimmt das wahr, was anderen oft entgeht: „Die Alltagskultur, das Offensichtliche und dessen Einzigartigkeit will ich zeigen." Für die Reihe „Patina", die Liftenegger für seine Ausstellung im März 2012 in der Galerie G 69 konzeptioniert hat, war er mit der Polaroid-Kamera unterwegs und fing „spannende" Oberflächenstrukturen des öffentlichen Raumes ein. Prinzipiell versteht sich Liftenegger als Dokumentationsfotograf, der konzeptionell an die Bilder herangeht. Zuerst arbeitet er ein Thema aus, dann hält er seine Motive fotografisch fest. Für seine Dissertation „Gedächtnis- und Erinnerungskultur in Nordirland. Murals und Paraden" fotografierte er über Jahre immer dieselben bemalten und meist militärisch gestalteten Mauern „Murals", die Teil einer spezifischen Denkmalkultur und Teil des kulturellen Gedächtnisses von Irland sind. Zu sehen waren die Bilder in Graz, Derry (Nordirland) und Linz.
Belfast inspirierte Liftenegger auch zu seiner Serie über "faded shops" - Polaroids von den Fassaden aufgelassener Geschäfte in Belfast und Graz. "Die Verwendung des Polaroid-Materials bedingt auch einen Auflösungs- bzw. Veränderungsprozess der Fotografie, womit das Verschwinden der Geschäfte zweimal passiert", sagt Liftenegger. Die "faded shops" sind gewissermaßen das Bindeglied zu seiner aktuellen Ausstellung „Patina", bei der Objekte, die im Alltag nur peripher wahrgenommen werden, fotografisch ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden.
Bilder von Mario Liftenegger im Internet: http://mliftenegger.viewbook.com/
Petra Sieder-Grabner, 2012