Wider die Plattitüden
Christoph Dolgan schreibt starke Prosa und verweigert sich den Medien.
Es ist ein unausgesprochenes Merkmal dieser Porträtreihe, dass Menschen andere Menschen porträtieren, die sie in irgendeiner Weise gut finden. Das vorweg, damit Sie sich, werter Leser, auskennen: vielleicht sollte ich noch hinzufügen, dass ich weniger Christoph Dolgan gut finde, als vielmehr seine Texte - die kenne ich besser. Den ersten dieser seiner Texte hab ich im Korso (das mittlerweile eingestellt wurde) gelesen, im Dezember 2010. Jetzt schreibt er regelmäßig für das Feuilletonmagazin schreibkraft und die Literaturzeitschrift manuskripte.
Dolgans Texte beeindrucken sowohl durch ihre Abstraktion als auch durch ihre Konkretheit. Ich gehe davon aus, dass sie diese Wirkung bei jedem anderen Leser auch hervorrufen. Es kann sein, dass seine Texte nicht jedermann gefallen, aber das müssen sie auch nicht: Vielleicht faszinieren sie einen jeden, der sie liest, das wäre wichtig und schön. Dolgans Texte üben einen Sprachsog aus. Ihr Inhalt ist zumeist düster. Die Sprache wirkt, als hätte er sich die Worte eigenhändig aus dem Handgelenk geschnitzt. Konkretheit und Abstraktion bedeutet natürlich gar nichts: Plattitüden. Was meint Konkretheit? Dass die Beschriebenheiten sich einem unmittelbar (nackt) ins Hirn wuchten. Was heißt Abstraktion? Dinge, die wir nicht verstehen. Je konkreter die Beschreibung, umso abstrakter die Dinge.
Christoph Dolgan ist ein Zurückgezogener. Als er im November 2011 den neuen Grazer Literaturpreis Rothahorn (zusammen mit Monique Schwitter) erhält, schaut er, bevor er seine Dankesworte sagen soll, aus, wie (man entschuldige den südsteirischen Regiolekt) „Hingschbiebn". Letztendlich bedankt er sich trotz seiner Nervosität artig, danach rauchen wir seine Selbstgewuzelten. „Ich fürchte, völlige mediale Verweigerung kann sich wohl nur jemand vom Kaliber Thomas Pynchon leisten". Schade eigentlich, dieses vielleicht verfrühte Resümee in einer Stadt zu hören, in der so manche Künstlerexistenz ihr aufgeplustertes Ego spazieren führt. „Außerdem habe ich (‚als Warnung‘) eh nicht viel zu sagen." Aber das stimmt nicht ganz. Christoph blüht zum Beispiel auf, wenn es um Soma Morgenstern geht. Kennen Sie nicht? Kannte ich auch nicht. Soma Morgenstern, Schriftsteller aus Galizien, K.u.K., Zeitzeuge einer untergegangenen Welt, wie man so schön sagt. Eine Leseempfehlung Dolgans.
Was ihn noch interessiert, entnehme ich mehr seiner Biographie: Schwab, Sacher-Masoch, über Letzteren hat er promoviert. Doch Interessen machen noch keinen Menschen aus, und ich bemerke eine gewissen Hilflosigkeit an mir, aber auch das Gefühl, dass ein Porträt mit Leerstellen den Porträtierten deutlicher darstellt. Manchmal entfalten sich die Bedeutungen aus dem Ungesagten.
Die Texte, die Dolgan schreibt, sagen mehr. In ihnen beschreibt er Menschen, mit denen man, man weiß vielleicht gar nicht gleich warum, lieber nichts zu tun haben möchte. Den Voyeurismus der Leser verpflegt er mit der nötigen Distanz: So lässt er zu, dass sowohl dieser als auch die Beschriebenen einen nötigen Rest an Würde und an Menschlichkeit behalten dürfen. Als wäre dieser Weg gangbar. „Eine Welt, die solche Texte möglich macht (ohne dass man groß erfinden müsste), ist wohl zum Kotzen. Zugleich aber vielleicht auch ein Grund, warum ich überhaupt zu schreiben versuche."
Christoph Dolgan wird schon allerorten nach „etwas Fertigem" gefragt. „Was Fertiges" meint in der Verlagssprache ein möglichst druckreifes, in sich geschlossenes Romanmanuskript. Es gibt nichts Schlimmeres als die Frage nach etwas Fertigem, wenn man so gut schreibt wie Christoph Dolgan. Es muss und soll nicht immer gleich ein Roman sein.
Andrea Stift, Dezember 2011