Das Geheimnis von Zitoll (*)
Das Damen-Streichtrio Netnakisum, dem steirischen Zitoll entwachsen, zieht der Volksmusik neue Saiten auf.
Direkt zum *Update 2023
Die urbane Legende, wonach sich auf gewissen Schallplatten eine geheime Botschaft versteckt, wenn das Vinyl entgegen seiner vorgesehenen Richtung abgespielt wird, dürfte bekannt sein. So standen etwa die Beatles unter Verdacht, mit einer solch diabolischen Technik Rückwärtsbotschaften unters Volk gebracht zu haben („White Album"), aber auch Led Zeppelin („Stairway to Heaven") und sogar Britney Spears. Was aber hat das nun mit Netnakisum zu tun? Mehr als man auf den ersten Blick vermuten möchte. Rückwärts gelesen wird aus „Netnakisum" schlicht „Musikanten". Weiters hat das 2004 gegründete Trio auch schon Britney Spears gecovert („Toxic"), und wenn man Linde Härtel, sie ist die Cellistin, Glauben schenken möchte, dann stand am Anfang der Karriere von Netnakisum ein ganz besonderer Wunsch: „Wir wollen so werden wie die Beatles!".
Aber genug der konspirativen Überlegungen. Ein Quäntchen Magie steckt allerdings tatsächlich in der Musik der Mittdreißigerinnen Magdalena Zenz (Violine), Marie-Theres Härtel (Viola) und Linde Härtel (Cello). Wie sonst könnte es sein, dass die gebürtigen Steirerinnen nicht nur Volksmusik, Polka und Wienerlied, sondern auch Klassik und Schlager unverdächtig unter einen Hut bringen? Und die Melange am Ende erstens einen auffälligen Pop-Appeal hat und sich zweitens an gängigen Klischees sehr elegant vorbeischleicht? Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass Netnakisum ihre Lieder - eine Allianz aus Eigenkompositionen und adaptiertem, traditionellem Liedgut - mit Humor abschmecken und vor allem ganz ungezwungen eine Lektion in Sachen Virtuosität erteilen. Alle drei haben ihre Instrumente an der Grazer Kunstuniversität studiert, gehen damit aber nicht hausieren.
Was aber beinahe noch wichtiger ist: Von Kindesbeinen an waren sie es gewohnt, zu singen, zu spielen und zu jodeln. Die beiden Härtel-Schwestern stammen aus einem hochmusikalischen Haushalt, kaum einer der Großfamilie ist nicht musikalisch tätig. Vater Hermann Härtel leitete lange Zeit das steirische Volksliedwerk. Darüber hinaus spielen Vater und Mutter bei den in einschlägigen Kreisen bekannten Citoller Tanzgeigern. So wurde also Marie-Theres und Linde ihr musikalisches Geschick in die Wiege gelegt. Und die Wiege stand in Zitoll, das ist ein Dörfchen im Norden von Graz. Das ist auch jener Ort, in den Linde Härtel, nach einigen Jahren in Wien, wieder zurückkehren wird. „Dort, des is mei Erdn", sagt sie.
Dass Linde Härtel wieder Sehnsucht nach einem verschlafenen Nest hat, muss aber nicht verwundern. Sie und ihre beiden Kolleginnen haben bislang sicher mehr erlebt, als es dem durchschnittlichen Mittzwanziger im Normalfall vergönnt ist. Ihre letzten beiden Alben „Nutville" (2009) und „Das Geheimnis der Alpenstube" (2011), ein Livemitschnitt aus dem Wiener Semperdepot, wurde von der Musikpresse anstandslos akklamiert, ihr Tour-Leben hat sie bislang durch die USA, England oder auch Algerien geführt. Voriges Jahr bespielten sie als Kulturbotschafterinnen den Österreich-Pavillon der Weltausstellung Expo in Shanghai. Momentan befinden sie sich wieder im Studio und tüfteln an einer Verfeinerung ihres Konzepts, haben etwa schon einen Schlagzeuger hinzugezogen. Ihre Second-Hand-Trachtenkleider wollen sie bei zukünftigen Auftritten nicht mehr tragen, dafür haben sie die Live-Besetzung beachtlich aufgestockt. Wenn sie Mitte August etwa beim Musikfestival „Alpentöne" in der Schweiz auftreten, dann geschieht dies nicht nur mit Unterstützung des Tuba-Spielers und des Akkordeonisten der Citoller Tanzgeiger, nein, es werden sich auch einige Familienmitglieder des Härtel-Clans dazu gesellen. Die schießen zwar nicht so scharf wie einige Mafia-Clans in der Gegend von Corleone, werden dafür aber mit Sicherheit jeden Ton treffen.
Zum Eintrag über Netnasikum auf Wikipedia
Tiz Schaffer
Juli 2011
*Update 2023: Das Erbe von Netnasikum
2012 tourte Netnakisum im Quartett mit Magdalena Zenz (Violine), Marie-Theres Härtel (Viola) und Linde Härtel (Cello) sowie dem Trompeter Matthias Schriefl. Im selben Jahr verließ Magdalena Zenz die Gruppe. 2013 spielte man zu dritt mit Claudia Schwab beim Ethno-Jazz-Festival in Moldawien. 2015 folgten Auftritte beim Kulturpicknick im Schloss Eggenberg sowie als „Kusimanten - die Cousinen von Netnakisum" mit Tamara Lukasheva.
Das Erbe von „Netnasikum" hat 2014 quasi die Formation Kusimanten angetreten. Diese besteht bis heute. Die aktuellen Mitglieder sind Marie-Theres Härtel (Viola), Tamara Lukasheva (Gesang) und Susanne Paul (Cello). Ihr Debüt hatten die Kusimanten (noch mit deeLinde alias Linde Härtel am Cello) im November 2014 im Wiener Konzerthaus. Im Januar 2016 nahmen sie ihre erste Platte "Bleib ein Mensch" auf, die 2017 bei Leorecords (UK) erschien. 2018/2019 wurden sie für das Förderprogramm "New Austrian Sound of Music" nominiert und reisten um die halbe Welt, u. a. nach Pakistan, Ägypten, Kasachstan, Thailand, in die Ukraine, nach Bosnien-Herzegowina und Albanien.
Marie-Therese Härtel unterrichtete von 2016 bis 2018 an der Schule der Künste Frasdorf in Bayern und ist bis heute eine international gefragte Musikerin und Referentin. Zurzeit ist sie hauptsächlich mit Susanne Pauls MOVE String Quartet, den Kusimanten, dem Duo Härtel Trübsbach sowie Matthias Schriefls Band Shreefpunk unterwegs, die 2019 den Neuen Deutschen Jazzpreis gewann.
Bands & Projekte Marie-Therese Härtel (Auszug)
- 2012-14 Openstrings Berlin
- 2012 "Volks-Rock'n'Roller"-Tour mit Andreas Gabalier & Live-DVD vom Konzert in der Wiener Stadthalle
- 2013 & 2014 Produktion mit der WDR Big Band "Global Dance Kultur XL"
- ab 2013 Bratschistin beim Susanne Pauls "MOVE String Quartet" Berlin
- 2014 Gründung der Band Duo Härtel Trübsbach, Debüt beim Serious Series Festival Berlin, Gründung der Band Kusimanten
- ab 2016-18 Lehrerin an der Schule der Künste Frasdorf
- 2019 Neuer Deutscher Jazzpreis 2019 mit Shreefpunk plus Strings
- 2022-24 Künstlerin & Kompositionsauftrag im Rahmen von „Signal am Dachstein"
Discographie Marie-Therese Härtel (Auszug)
- 2022 Härtel Quintett
- 2021 Kusimanten: Live Analoge Vinyl Recording @ Bauer Studios
- 2021 Duo Härtel Trübsbach: Great Again
- 2018 Move String Quartett „Other Stories"
- 2017 Kusimanten „Bleib ein Mensch"
- 2014 Netnakisum „Hoamweh"
- 2014 Wabi Sabi Orchestra Laura Winkler „Paper Clips"
Zur Website von Marie-Theres Härtel
ARTFaces-Redaktion
Dezember 2023