Der Geschichtsfanatiker (*)
Franz Kapfer spürt in Installationen und Aktionen verblassten Symbolen von Macht und Männlichkeit nach.
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Wir treffen uns vor der Südwand des großen Flakturms im Wiener Esterhazypark, gleich ums Eck von Franz Kapfers Wohnung. Die Flakturmwand wird vom Alpenverein okkupiert. Drei Kletterer bezwingen die senkrechten Mauern, in die Griffe eingelassen und Hindernisse eingebaut wurden. Franz Kapfer erscheint zu ebener Erde: Jeans, Schlapfen, Holzfällerhemd, wirres Haar, eine Colaflasche in der Hand.
„Zur Errettung des Christentums" ist das Generalmotto von Kapfers aktuellen Arbeiten, in denen er sich mit prägenden Einflüssen der österreichischen Geschichte beschäftigt, konkret: Mit der Glorifizierung des Sieges der Habsburger gegen die Türken. Darstellungen von abgeschlagenen Türkenköpfen, von Rossschweifen mit Halbmond, die von triumphierenden österreichischen Helden in Staub getreten wurden, ziehen sich durch die Kunst des Barock und finden sich noch in Objekten und Bauten aus dem 19. Jahrhundert, wie zum Beispiel der Feldherrenhalle im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien. Kapfer greift diese Gesten des Triumphes und der Niederwerfung auf und transformiert die Symbole der Macht zu Foto- und Objektinstallationen, die auf die Kulissenhaftigkeit unseres Geschichtsbildes anspielen und verdeckte Bezüge zur Gegenwart freilegen. Unter dem Titel „zur Errettung des Christentums" stellte Franz Kapfer bisher in Passau, Salzburg und Wien aus. Im Sommer 2008 wird im Rahmen der „Regionale 08" eine Installation im oststeirischen Schloss Kalsdorf folgen, unweit von Kapfers Kindheitsort Bad Waltersdorf.
„Das Geschichtsbewusstsein hat sich in mir schon früh ausgeprägt. Meine Mutter kam aus Südtirol und hat in der Fremde der Oststeiermark Südtirol immer als heilige Erde mystifiziert. Die kleinbäuerliche Struktur in der Oststeiermark war für sie ein Kulturschock, den ich als Kleinkind sehr stark aufgenommen habe. Meine Mutter ist auch stilistisch, würde ich behaupten, im Dorf eine der Pionierinnen gewesen, was den kleinbürgerlichen Geschmack betrifft, der jetzt präsent ist, zum Beispiel was die Einführung von sinnlosen Plastikbrunnen oder von sinnlosen Terrassenkulturen angeht. Wenn ich jetzt runterfahre in die Oststeiermark, finde ich, dass die katastrophalen kleinbürgerlichen Klein-Versailles und diese ganzen Imitationsversuche einer aristokratischen Ästhetik oder Großbourgoisie-Ästhetik in diesen Kleinhäusersiedlungen äußerst präsent ist. Diese seltsame Art meiner Mutter, die sich da nicht ganz wohlgefühlt und ihre Südtiroler aristokratische Herkunft glorifiziert hat, dazu ein Opa, der mir als Kind von den Märschen der Wehrmacht erzählt hat, haben mich stark geprägt. All die Jahre bis jetzt bin ich eigentlich damit beschäftigt, diese Mythen in mir zu zerbröseln, aber auch patriarchale Strukturen zu zerbröseln."
Die Fixierung auf Heroentum und Männlichkeit ist schon in Kapfers früheren Arbeiten präsent, in denen er mit einem „Arschhelm" und einem Schwert bewaffnet als Held posiert - eine Allegorie auf Männlichkeit und Macht. „Wenn ich in meinen Arbeiten barocke Motive und Apotheosen aufgreife, hinterfrage ich dadurch auch gegenwärtige Darstellungsweisen des Maskulinen und die Lächerlichkeit der Macht", sagt Kapfer. Zusatz: „Für Letztere gibt es in der aktuellen Politik genug Beispiele, wo man die ganzen Klischees an Attributen, an einer Ausstattung und Glorifizierung der Macht antreffen kann."
In der Auseinandersetzung mit geschichtlichen Themen ist er ein Fanatiker, der den ins Verborgene entglittenen Symbolen nachspürt und sie in seinen Arbeiten für die Gegenwart präsent macht. „Ich gehöre zur gefährlichen Spezies der Pseudohistoriker - im Sinne von Bourdieus Laienbegriff aus den 'Feinen Unterschieden'; zu diesen verlorenen Existenzen, zu denen auch Leute wie Franz Fuchs zählten", meint der Absolvent von Heimo Zobernigs Meisterklasse an der Akademie der bildenden Künste, der froh ist, dass er seine "Bomben" in künstlerischen Arbeiten zünden kann. „Von daher finde ich es verwunderlich, dass manche Leute meine Präsentationen und Performances als lustig empfinden."
Zum Abschied nach einer knappen Stunde Gespräch mit dem Künstler richten wir unseren Blick wieder auf die Flakturm-Südwand-Bezwinger des Alpenvereins. Es sei bezeichnend, dass dieses Gebäude nun wieder für die Körperertüchtigung genützt werde, meint Franz Kapfer mit Blick auf die Kletterer. Die Nazis selbst, so weiß Kapfer, hatten vorgesehen, die Türme nach dem Endsieg mit schwarzem Marmor zu umhüllen, in die sie die Namen der gefallenen Helden der Ostmark gravieren wollten: Riesige Siegesstelen, verteilt über die Stadt.
Wenn man das weiß, betrachtet man die Türme mit anderen Augen. Franz Kapfer leistet ganze Aufklärungsarbeit.
Werner Schandor
Mai 2008
*Update 2023: Die Dämonen des Krieges sind zurück
„Die Dämonen sind da. Sie schlafen nicht", sagt Franz Kapfer über die Dämonen des Krieges, die 2022 nach Europa zurückgekehrt sind. Der in Wien lebende Steirer wurde 2022 mit dem Würdigungspreis für Bildende Kunst des Landes Steiermark ausgezeichnet. Mit dem Preis verbunden war die Möglichkeit, in der „Halle für Kunst" in Graz eine Ausstellung zu gestalten. Kapfer widmete sie unter dem Titel "Im Rücken die Ruinen von Europa" der Rückkehr der Nationalismen in Europa.
In seiner Installation hängen Schilde an rostigen Ketten in einem Raum, der trostlos und unheimlich wirkt. Die Schilde tragen Symbole verschiedener rechtsextremer Bewegungen und werfen durch das Licht in der Mitte Schatten auf die Wände. „Es sind die langen Schatten eines geteilten Europas, die uns hier überlebensgroß und verzerrt begegnen", heißt es im Ausstellungstext der „Halle zur Kunst". Und weiter: „Auch die [...] rechtsextreme Identitäre Bewegung findet sich hier mit ihrem Lambda-Symbol [Λ] wieder. Es wird angenommen, dass ihr Symbol den Spartaner-Schilden einer Comicverfilmung entnommen ist ("300", Regie: Zack Snyder, 2006). Das Lambda kommt aber aus der - ebenfalls vereinnahmten und hin zu „richtigen Männer(bünden)" dekontextualisierten - US-Schwulenbewegung der 1970er-Jahre."
Wie sehr Kapfers intensive Auseinandersetzung mit den historischen Nationalbewegungen in der Gegenwart an trauriger Aktualität gewonnen hat, lässt sich auch an der Liste von Einzel- und Gruppenausstellungen ablesen, bei denen seine Arbeiten in den letzten Jahren zu sehen waren, darunter auch viele internationale Shows, z. B. in Stuttgart 2020, Bukarest 2019, Plovdiv 2019, Tirana 2018, Sassari (I) 2018, Leipzig 2016 und Kiew 2015. In der Steiermark waren seine Arbeiten 2021 im Club Hybrid in Graz und 2017 im Museum Hartberg zu sehen.
„Momentan geht es nur um Aufrüstung", sagt Franz Kapfer im Videoporträt anlässlich des Würdigungspreises des Landes Steiermark: „Und ich bin nicht glücklich darüber. Die Waffen werden mehr, und das finde ich sehr belastend. Mein Ziel als Künstler ist es, auf diese Dämonen hinzuweisen. Ich werde sie nicht verhindern können, aber ich muss auf sie hinweisen."
Rainer Fuchs, der Chefkurator des Wiener mumok, schrieb in der Jurybegründung zur Verleihung des Würdigungspreises für bildende Kunst an Franz Kapfer:
In seinen Installationen, Videos und Performances hinterfragt Franz Kapfer geschichtliche und gegenwärtige Rituale, die in meist verinnerlichter Form das gesellschaftliche Leben und seine Wertvorstellungen bestimmen. Es sind tradierte und stereotype Klischees von Macht und Wahrheit, wie sie uns in ästhetisierter Form etwa in Denkmälern und Gebräuchen, aber auch in den aktuellen politischen Diskursen begegnen. Kapfer macht die oft verdrängten oder geleugneten machtpolitischen Motive religiöser und weltlicher Ideologien in ihren alltäglichen und existentiellen Auswirkungen erkennbar, ohne in eine didaktische oder moralisierende Haltung zu verfallen.
2021 hielt sich Kapfer im Rahmen des steirischen Atelier-Auslandsstipendiums in Jerusalem auf. 2023 wurde der Künstler mit dem „Outstandig Artist Award" der Republik Österreich ausgezeichnet.
ARTfaces-Redaktion
November 2023