Unheimlich attraktiv abschreckend
Porträt des Schauspielers Christian Krall – mit Regieanweisungen.
Sein schütteres Haar blitzt blassblond im fahlen Licht der Grazer Szenekneipe. An seinen markant eckigen Gesichtszügen ziehen Rauchschwaden empor, flechten sich in den dichten Qualmteppich an der Decke des Lokals. Er nimmt einen Zug. Seine entspannte Körperhaltung wird von einem leisen Blues untermalt.
Christian Krall lächelt einmal herzlich, bestellt einen weißen Spritzer, nimmt noch einen Zug. Es wirkt so, als wäre er in die kleine Kneipe hineingeschrieben worden. Regieanweisung: Christian setzt sich lässig auf einen Barhocker neben den Journalisten, raucht Zigarette um Zigarette. Seine Körpersprache verrät noch nichts über seine Befindlichkeit. Das Gespräch entwickelt sich. „Ich habe oft das Gefühl, dass mein Leben ein Stück ist. Es passieren so viele arge Sachen", erklärt der gebürtige Kärntner.
Mit 10 Jahren nimmt Christians Lebensspiel bei den Friesacher Burghofspielen seinen Lauf. Er kommt auf den Geschmack, will schauspielern. Sechs Jahre später spielt er am Stadttheater Leoben unter der Regie von Susanne Zöllinger, die zu der Zeit auch in Graz als Gastregisseurin für das Next Liberty Jugendtheater arbeitet. Der Kontakt zum Kultur behafteten Herzen der Steiermark ist hergestellt. Mit 18 Jahren versucht Christian schließlich im Schauspiel-Institut der Kunstuniversität Graz Fuß zu fassen. Bei der Aufnahmeprüfung verlangen die Verantwortlichen von ihm einen perfekt ausgearbeiteten Schiller. Christian fühlt sich der Aufgabe nicht gewachsen, wird nicht zum Schauspiel-Studium zugelassen, bekommt zum ersten Mal einen Dämpfer.
Eines der Jury-Mitglieder, Monique Johansson, ruft ihn nach der missglückten Prüfung an, bestätigt ihm, dass er nicht aufgeben dürfe, weil er wirklich Talent habe. Christian wittert eine Berufung hinter seiner Leidenschaft für das Theater. Mittlerweile ist er 22 Jahre alt. Zwischen ihm und Monique Johansson hat sich eine Freundschaft entwickelt. An ihrer Musicalschule „Sing & Dance" lehrt Christian einmal in der Woche Jugendliche im Alter zwischen 6 und 19 Jahren die Kunst des Schauspielens. Außerdem spielt er im „Theater im Keller", nimmt selbst Schauspielunterricht und schreibt ein Jugendstück für die Friesacher Burghofspiele. - Viel zu tun für einen aufstrebenden Jungkünstler.
Die Kneipenszene geht weiter. Regieanweisung: Christian wendet sich dem Journalisten zu, zündet sich eine weitere Zigarette an. Er beginnt damit, sich seinem Gesprächspartner zu öffnen. Es ist etwas unheimlich Anziehendes und Abschreckendes an diesem jungen Bühnenmenschen. Die Jugendlichkeit, der Elan, der Witz und die Leichtigkeit springen förmlich aus seinen Bewegungen, Worten und Gesichtszügen: „Ich bin spontan, geh fort und koste das Leben voll aus." Ein Schluck, ein Zug. Mit einer Hand streicht Christian die dünnen Haare aus dem Gesicht. Mit der anderen streicht er über sein Knie. Der Blues im Hintergrund wird zu einem dumpfen Swingsound.
Christian will Neues schaffen, neue Rollen spielen, neue Stücke schreiben und dabei immer modern sein. Doch da steckt mehr unter der jugendlich attraktiven Schale. Seine tiefen braunen Augen geben für einen kurzen Moment Preis, das in ihm gewaltige Emotionalität brodelt, die er selbst bändigt: „Ich muss nach jeder Rolle wieder Christian werden, egal wie intensiv die Rolle ist. Ich muss wieder auf den Boden kommen, sonst breche ich emotional auf."
Im Rahmen des Ein-Mann-Stücks „Ritzen" von Walter Kohl fühlt Christian diese Zerrissenheit und die Durchschlagskraft seiner Emotionalität besonders stark. Ein Stück, bei dem der Akteur sich voll in den Charakter der Rolle einleben muss. Es geht um einen jungen Mann, der sich wie viele junge Menschen selbst verletzt und so seine Ängste und Unsicherheiten für einen kurzen schmerzhaften Moment vergisst. „Bei diesem Stück haben die Menschen bestimmt 40 Prozent von mir mit nach Hause genommen."
Innerlich erwachsen und äußerlich jugendlich - Christian kratzt sich am Kopf. Regieanweisung: Christian rückt noch näher zum Journalisten, offenbart sich schließlich. Das Feuerzeug in der einen Hand, die Zigarette in der anderen Hand. Klick und Flamme. Der Tabak knistert, Christian verschwindet abermals in den Dunstschwaden. „Ich habe vor kaum etwas Angst, außer vor Feuer." Diese Angst beschränkt sich allerdings auf große Brände. Wenn Christian das Feuer zum Beispiel in Form eines Feuerzeugs in der Hand hält, es kontrollieren kann, dann macht es ihm nichts aus. - Ein treffendes Sinnbild und womöglich eine Erklärung für all das, was Christian ausmacht.
Was zum Schluss bleibt, ist ein authentischer junger Mann, der bereit ist, hart zu arbeiten, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und auf einer Bühne wortwörtlich alles zu geben, was er hat. Was bleibt, sind Christians Ziele: „Ich will meinen Beruf ausüben können, dabei Spaß haben, Jugendlichen das Theater näher bringen und mein Publikum berühren."
Als Christian die Kneipe verlässt, drängt frische kalte Luft den Qualm beiseite. Die Tür knarrt. Durch das Fenster sieht man Christian lichtes Haar im Wind wehen.
Henric Wietheger
Dezember 2010