Gedichte, eingängig wie Songs
Reinhard Lechner schreibt flirrende literarische Songs über die Geschasten des Lebens.
Er wolle Gedichte schreiben, einfach wie Songs, hatte Rolf Dieter Brinkmann, der erste Pop-Poet Deutschlands, in den späten 1960er-Jahren als Losung ausgegeben und damit das literarische Establishment vor den Kopf gestoßen. Seither sind 50 Jahre Popgeschichte ins Land gezogen, und die vormals so strikten Grenzen zwischen E und U, zwischen Hochliteratur und Unterhaltung, haben sich längst aufgelöst. Heute empört es keinen Literaturkritiker mehr, wenn sich jemand mit Gedichten an Popsongs orientiert; aber es ist eine Kunst geblieben, Pop und Poesie so zu verknüpfen, dass die Lyrik keinen Schaden nimmt. Der Autor Reinhard Lechner, 1986 in Bruck an der Mur geboren, beherrscht diese Kunst.
Lechner schreibt Gedichte, flirrend wie arabeske Ornamente und eingängig wie Songs. Dass er dabei an Brinkmann denkt, ist nicht anzunehmen, denn anders als beim legendären Vor-Gänger der Pop-Poesie haben Lechners Gedichte auch eine explizit sozialkritische Seite. Da wird beispielsweise eine Familie Anti-Maier besungen, „die modellfamilie in der bierflasche, die verklebte seite im österreichischen bilderbuch". Und weiter: „wir sind ein 99-cent-shop-opernball, uns spielt man nicht den walzer zu, / wir sind der abfall der volkszählung und die fixzahl vorm sozialamt [...]".
Lechners Aufmerksamkeit gilt den sozial auf der Strecke Gebliebenen, den politisch Unterrepräsentierten, deren Wort von der Öffentlichkeit nicht gehört wird. Die Träger seiner Texte sind joblose Philosophinnen am Imbissstand, die romantische Fragen mit Kant beantworten, sind „Ersatzbürgerinnen" vor dem staatsbürgerschaftlichen Eignungstest, sind homophile Fabrikarbeiter, die ihre Neigungen unterdrücken. In Lechners Themenwahl und in seiner Betrachtungsweise kommt das Studium der Erziehungs- und Bildungswissenschaft zum Tragen, das der Autor in Graz absolviert. „Von meiner Ausbildung her interessiert es mich, wie Sozialisation funktioniert", sagt Lechner. „Und es ist ein Ziel von mir, solche Situationen, wie ich sie in meinen Gedichten andeute, von der theoretischen Seite anzuschauen. Mir ist es wichtig, dass meine Texte einen eindeutigen Bezug zur sozialen Realität haben. Das Abstrakt-Hermetische in anderer Lyrik gefällt mir, ist aber nach anfänglichen Texten in dieser Richtung nicht mehr meine Intention."
„wir sind's wieder, familie anti-maier,
sind das second-hand-gewand des nationalfeiertags, sind, sag es,
alles, was über den alpenrand geschoben werden soll,
wir sind auch dieses land,
nur einen stock tiefer überall,"
Lechner verpackt seine subtile dichterische Anteilnahme in mittellange Gedichte, die mit Rhythmen, Anlauten und Reimen arbeiten, mit Strophen, Variationen und Refrains, die den Texten etwas Songhaftes zum einen und etwas Traumwandlerisches zum anderen verleihen. Sie sind Wort gewordene Trance-Musik, auch wenn der Autor seine musikalischen Vorbilder eher in bodenständigen Kunsthandwerkern des Rock'n'Roll sieht und sich in der Musik eines Bruce Springsteen wiederfindet. Wie der „Boss" ist auch Reinhard Lechner ein scharfer Beobachter, der soziale Realitäten an kleinen Details festmachen kann. Aber anders als der frühe Springsteen zieht Lechner in seinen Texten immer wieder eine bildhafte, manchmal auch symbolische Ebene ein. „Ich hab den Nachteil, dass ich kein Musiker bin und keine Musik zu meinen Texten machen kann; deshalb muss ich schauen, dass ich in der Sprache vielschichtiger bin als die Musiker", sagt Lechner.
Der Autor will mit seinen Texten Zusammenhänge aufzeigen. Er sieht sich nicht in der Wiedergänger-Pose des Revolutionärs, der auf die Barrikaden steigt und das Publikum literarisch anagitiert. Indem Lechner Handlungen beschreibt und die sozialen Bedingungen dieser Handlungen andeutet, möchte er vielmehr Veränderungsmöglichkeiten ins Blickfeld rücken. Oder in den Worten eines seiner Gedichte: „wie lange braucht das licht vom mond, bis er der philosophin am imbissstand aufgeht"?
Texte von Reinhard Lechner erschienen bisher in Grazer Zeitschriften wie den „Lichtungen", der „schreibkraft" und dem Monatsmagazin „korso". Dank der Assonanzen, der Reime und Rhythmen, mit denen Lechner die Sprache bindet, eignen sich seine Texte auch bestens zum Anhören, was der Autor bisher bei Lesungen im Grazer Literaturhaus und als Finalist beim Hattinger-Förderpreis im deutschen Ruhrgebiet vor Publikum unter Beweis stellen konnte. Aber das ist erst der Anfang eines Liedes, dem sich hoffentlich noch etliche Strophen zugesellen werden.
Werner Schandor, August 2010