Große Gefühle in Lo-Fi (*)
Über die Sehnsuchtsmusik des Jürgen Plank
Direkt zum *Update 2023
"Sometimes I feel like I can't even sing" - keine Textzeile von Michael Stipe (R.E.M.) trifft auf Jürgen Plank weniger zu als diese. Und doch passt der Bezug: Früh schon hat sich der gebürtige Leobner (Jahrgang 1971) der alternativen Pop-/Rockmusik verschrieben. Begonnen hat alles in den späten 1980ern mit Bands wie den zitierten R.E.M., den Blue Aeroplanes oder The Smiths, mit Songwritern wie Billy Bragg, Johnny Cash und Natalie Merchant. Die Liebe zum klassisch instrumentierten, am American Songbook orientierten Liedgut hat den studierten Medienwissenschaftler und Ethnologen nie mehr losgelassen. Nach Versuchen als Hörspielautor und Herausgeber der auf Kleinstauflagen beschränkten, handgefertigten und im Freundeskreis vertriebenen Literaturzeitschrift „Tanja" hat sich Plank vornehmlich der Musik zugewandt. Bezeichnend für das Schaffen des Musikers, der mit dem Label Lindo Records auch Geistesverwandten wie Clint oder der phantastischen Laura Rafetseder (Laura & The Comrats: „Creating Memories") eine Plattform zur Veröffentlichung bietet, ist es über den Tellerrand der eigenen Kultur zu schauen. Seien es die Veröffentlichungen als Lassos Mariachis, einem Duo, mit dem sich Plank alias Jorge Blanco gemeinsam mit Roland Cresnar alias Raoul Corona auf den Weg macht, Mariachi-Musik mit eindeutig mit Ironie aufgeladenen deutschen Texten zu verweben, oder sei es als Soloprojekt The Wichita, mit dem er sich an der Oberfläche dem klassischen Singer-/Songwritertum verpflichtet.
Eine andere, eine konzeptuelle Zugangsweise zu Musik pflegt Plank mit der laut Radiomoderator Fritz Ostermayer „besten Band der Welt", dem Ersten Wiener Heimorgelorchester. Das EWHO, seit 1994 aktiv, hat sich ganz dem Musikmachen mit billigen Heimorgeln verschrieben. Zusätzliche Instrumente sind verpönt, genutzt wird, was die Heimorgel hergibt. Durch den Einsatz diverser, zum Teil selbst gebastelter Effektgeräte hat sich das Orchester zunehmend in eine Richtung entwickelt, der man eine Nähe zu Kraftwerk konstatieren kann. Textlich hält man sich im weiten Feld der tendenziell absurden Lyrik auf, etwa im pointierten Vierzeiler „die tür zu immer / die ruhe im zimmer // im zimmer die ruhe / die tür die zue" („Ruhe im Zimmer" vom Album „Es wird schön gewesen sein"), obschon in letzter Zeit öfter auch kritische Töne in die Texte gewoben werden oder sich ganze Songs mit etablierten Sinnlosigkeiten wie der zeitgenössischen volkstümlichen Musik auseinandersetzen. Dass das Erste Wiener Heimorgelorchester auf seiner aktuellen Veröffentlichung Ronnie Urini reaktiviert hat, um gemeinsam dessen legendäre Vertonung des Konrad-Bayer-Gedichts „Niemand hilft mir" neu einzuspielen, zeugt zudem von Geschichtsbewusstsein.
Überhaupt Kooperationen mit anderen Künstlern. Solche gibt es im Schaffen von Jürgen Plank einige, etwa mit Klaus Tschabitzer, besser bekannt als Der Schwimmer, oder dem Autor Günter Freitag, dessen Gedicht „Faro triste" die Lassos Mariachis gemeinsam mit der Gastsängerin Birgit Paul für den Sampler „kve:r" (pumpkin records 2003) vertont haben. Sie sind Zeugnis für die Umtriebigkeit von Jürgen Plank, der zuletzt auch als Produzent für einige der Lindo-Label-Artists in Erscheinung getreten ist.
Dass das Dasein immer dann am schlimmsten ist, wenn es während des Lebens zum Stillstand kommt, ist eines der zentralen Themen der Plank'schen Texte. Daher arbeiten sich seine Songs vielfach am Topos Sehnsucht ab. Knietief im Schlamassel zwischen Haben, Sein und Werden watend, zelebriert das lyrische Ich Fernweh und die Suche nach Beständigkeit, der gleichzeitig die Getriebenheit in die Quere kommt. Glück ist, wonach wir alle suchen, aber nichts ist so eigenartig wie ungebrochene Fröhlichkeit. So, mindestens aber so ähnlich lässt sich das Gefühl beschrieben, das die Songs von Jürgen Plank evozieren. Bei den Lassos sind es die mexikanisch tönenden Mariachi-Klänge, die Weite und Ferne suggerieren. Im balladesken Fach angesiedelt, stimmen Blanco und Corona Songs voller Wehmut an. Selbst die fröhlicheren Songs tanzen verdächtig nahe am Trauerrand der unerfüllten Lebensfreude. In der Selbstdefinition klingt das so: „Mit ihren grenzgängerischen Balladen - abseits von Gut und Böse - erweitern die Lassos Mariachis das Schlagergenre um tausend Dimensionen." Wer das Duo schon einmal live erlebt hat, weiß aber auch um das Komödianten-, ja fast schon Gauklerhafte, das den Lassos anhängt, denn Ernsthaftigkeit ist eine der letzten Kategorien, welche die Mariachis kategorisch pflegen. Der Hang zum Kalauer liegt den beiden im Bedarfsfall näher als die Bedachtnahme auf die Regeln der „hohen" Kunst.
Mit dem Soloprojekt The Wichita beschreitet Plank textlich ähnliche, musikalisch aber andere Wege. The Wichita macht Musik im Sinne des klassischen Singer-Songwritertums der amerikanischen Schule, die oberflächlich betrachtet nicht versucht, krampfhaft komplex zu werden, und dennoch im Gesamten genug Raffinesse hat, mehrschichtig zu wirken. Was als Liebeslied anhebt, wird schnell einmal zum Abschiedslied ganz nach dem Funktionsprinzip des Plank'schen Kippmechanismus: Was eben noch zusammengehört hat, wird umgehend getrennt: „She called me husband, I said wife, I prefer a Hobo-life, I had to say goodbye" („Lourelei" vom Album „Songlines"). Der vielfach eher durch Understatement gekennzeichnete und weniger pathetische Vortragsstil des Sängers Plank unterstützt die Mehrdeutigkeit der Songs zusätzlich, Plank gibt so gerne auch den sympathischen Underdog, wenn nicht gar Verlierer von eigenen Gnaden. In diesem Sinne wollen wir noch einmal Michael Stipe zitieren: „Singer sing me a given, singer sing me a song."
Weitere Infos unter: www.ewho.at
Hannes Luxbacher
März 2010
*Update 2023: Unbemerkte Welthits
„Immer dort wo Du bist bin ich nie", sprach der Welthit und verzog sich in den letzten Winkel der analogen Welt. Seit Streaming-Plattformen die physischen Tonträger nahezu atomisiert haben, ist die Sache mit dem Welthit nicht gerade einfacher geworden. Weltweit etablierte Superstars veröffentlichen ein Album und gefühlte 12 von 10 Songs platzieren sich in den Top Ten der wichtigsten Charts. Durchweg unbekannten Künstler:innen helfen die Plattformen zwar, ihre Kunst an das Publikum zu bringen, Themen wie faire Entlohnung oder Reichweite stehen aber auf einem anderen Blatt. Jürgen Plank träumte immer davon, einen Hit zu schreiben und von diesem leben zu können. Die neuen Musikvermarktungsmodelle machen es ihm nicht gerade leichter.
Beharrlich veröffentlicht Plank dennoch seine Songs - und die Alben anderer - auf seinem Label Lindo Records. Die Lassos Mariachis sind mittlerweile zwar irgendwo im Hinterland von Veracruz verschollen oder haben sich dortselbst als Kaffeehändler ein zweites Standbein aufgebaut und warten geduldig, von Patti Smith entdeckt zu werden - so genau weiß man das nicht. Jorge Blancos Alter Ego Jürgen Plank aka The Wichita hingegen singt weiterhin seine Songs, zuletzt über Revolutionäre wie Fidel Castro („ The Day That Fidel Castro Died") oder das Coronavirus („Hey Corona"). Letztgenannter Songs übrigens hätte das Potenzial zum Welthit, hätte er den Marketingstab von, sagen wir Taylor Swift, hinter sich gehabt. Von Ironie-liebenden, das Virus ernst nehmenden Hörer:innen bis hin zu coronaleugnenden Schwurbler:innen hätte das Zielpublikum gereicht, der Text hätte allen Platz gelassen, sich wiederzufinden - aber der Welthit sprach lieber sein eingangs zitiertes Mantra. Und ja, Plank ist nach wie vor ein Viertel des Ersten Wiener Heimorgelorchesters (ein neues Album erscheint 2024, da werden sie 30) und somit nach wie vor Teil der nach wie vor besten Band der Welt.
Zur Website von The Wichita
Hannes Luxbacher
November 2023