Ein Zimmer zu viel
Erika Lässer-Rotter entwirft in ihren Gemälden spannende Farb- und Bildwelten, die die Zuverlässigkeit von Wahrnehmung und Erinnerung hinterfragen.
Eines ihrer Gemälde zeigt ein einfach eingerichtetes, menschenleeres Zimmer mit einer Vase auf einem Tisch, einem Stuhl, zwei Hockern, einem Teppich, Vorhang, Fenster. Es stammt aus einer Serie aus dem Jahr 2009. In dieser Serie malte Erika Lässer-Rotter aus der Erinnerung heraus Räume ihrer Kindheit. Das leere Zimmer, das wirkt, als warte es auf etwas, das nie eintrifft, war das Gästezimmer in ihrem Elternhaus - ein Raum, der nur selten genutzt wurde. „Ein Zimmer zu viel", wie Erika Lässer-Rotter sagt. Die Malerin wuchs in Vorarlberg auf, in den „üppigen 70er-Jahren", in denen die Gesellschaft so zukunftsfroh war, dass man Häuser baute, die viel zu groß geraten waren - und wo man nicht damit rechnete, dass man all die Räume gar nicht nutzen können würde.
Interieurs, Stillleben und Landschaften, das sind Hauptmotive Lässer-Rotters, die in den 1980er-Jahren nach Graz kam und hier ab 1985 die Meisterklasse für Malerei bei Gerhard Lojen besuchte. Die Kraft der Malerei entdeckte sie Anfang der 1980er-Jahre während eines Aufenthalts in Madrid, genauer: in einer Madrider Wohnung, in der sie oft zu Gast war, und die voll von Bildern junger, zeitgenössischer spanischer Maler war. „Dort erkannte ich, wie Bilder einen Lebensraum interessant machen können. Im konkreten Fall erzählten diese Bilder von der damals erst wenige Jahre zurückliegenden Franco-Diktatur."
Nach über 20 Jahren erzählen Erika Lässer-Rotters eigene Bilder - zumindest die aktuellen, die im Sommer 2009 im Grazer Kunst- und Begegnungszentrum KuBeg im Psychosozialen Zentrum Ost in der Plüddemanngasse 45 zu sehen waren - vor allem von Abwesenheiten und von den feinen Nuancen der Malerei. Porträts macht die Künstlerin zwar auch, doch mehr noch als Menschen scheinen sie Landschaften, Einrichtungen, Gegenstände und das Licht an sich zu interessieren. Lässer-Rotter konzentriert ihre Wahrnehmung auf Farben und Strukturen. Selbst wenn diese Arbeiten auf konkrete Orte wie den Blick aus ihrem Atelierfenster in Graz oder den Höhenzug des obersteirischen Zirbitzkogel Bezug nehmen, ist der Malerin mehr die Farbnuance, die Lichtstimmung, der Pinselstrich, die Bildkomposition, kurz: die Spannung im Bild wichtig. So verdichtet sie vor allem Landschaften zu farblichen Arrangements an der Kippe zur Abstraktion. Verliert sie während der Arbeit das Interesse an einem Motiv, dann wird das Bild einfach übermalt. Und schon allein dadurch, dass man erkennen kann, dass hinter dem, was man sieht, ein weiteres Bild verborgen ist, stellt sich auch für den Betrachter die Spannung - eine erhöhte Sensibilität für das, was man vor Augen hat - automatisch ein.
Ihre Bilder, die immer wieder mit gedeckten Farbflächen und irritierenden Kontrasten die ästhetischen Bruchlinien entlang des Schönen ausloten, brauchen Zeit, um sich dem Betrachter in ihrer ganzen Tiefe zu erschließen. Das kontemplative Moment in ihren Arbeiten hat zuletzt Josef Fürpaß bei der Eröffnung einer Ausstellung im Verein Galerie Centrum Graz anno 2007 gewürdigt. Er sprach von „Imaginationspartikel", die aus Lässer-Rotters Atelier „in die Welt und ins Weltall hinausflocken, in ein staunend-lustvolles oder betroffen-verunsicherndes Wahrnehmen von Unendlichkeit eintauchen können, um mit unbeirrbarer Konsequenz ins Hier und jetzt zurückgeholt zu werden."
Werner Schandor , Oktober 2009