New-Wave-Stories
Über die narrativen Bildserien von Walter Seidl
In seinen Bildserien verfolgt Seidl über Jahre hinweg die Geschichte des amerikanischen Paares D & S. Er fasste sie, 1995 beginnend, in Diaserien mit Namen wie „D&S", „DISclose", „DISsect" zusammen. D & S, das sind eine Mann und eine Frau, die Seidl in Amerika kennenlernte, und die beispielhaft für die oben angedeuteten Fragen der Genderdebatte stehen, denn an D & S verblüfft, dass Mann und Frau sich absolut ähnlich sehen: Sie kleiden sich gleich, tragen gleiche Brillen, haben ähnlich Frisuren - wenn sie nebeneinanderstehen, könnte man sie fast verwechseln. Wie es sich aber für moderne Lebensabschnittspartnerschaften gehört, blieben D & S nicht ewig zusammen. Die Frau verliebte sich in eine Frau (die wiederum dem männlichen Ex-Partner verblüffend ähnlich sieht), der Mann begab sich auf Solo-Pfade. Diese Abschnitte dokumentierte Walter Seidl 2007 bis 2008 in den Serien „ST." und „A.o.D.".
Jeweils 81 Dias - die Anzahl, die in ein Diakarussell passt - umfassen Walter Seidls analog aufgenommene SW- und Farb-Serien von D & S. Unterlegt sind sie bei Ausstellungen - und auf Seidls Homepage www.walterseidl.net - von Soundtracks, für die der Fotograf zum Teil international renommierte Soundtüftler wie John Parish gewinnen konnte. Seidls Bilder weisen stark narrative Elemente auf und können auch als Storyboards von Filmen über das Alltagsleben eines Paares gesehen werden. Die Bilder zeichnen sich - so die Kunstkritikerin Marina Gržinić im Vorwort zum Buch „DISplay", das 2008 in der Edition Fotohof erschienen ist und die Arbeiten über D & S zusammenfasst - durch Anleihen der New-Wave-Ästhetik aus. Damit ist unter anderem gemeint: Bunte Farben und harte Schwarzweißkontraste, urbane Settings, Künstlichkeit als Lebensstil, Betonung androgyner Formen. Die Kunstkritikerin Ursula Maria Probst, die das zweite Vorwort zu „DISplay" beisteuert, konstatiert: „In seinen Bildkompositionen gelingt es Seidl, Ethik und Ästhetik zu verbinden; es ist ein teilnehmender Blick, der einen Lebensstil porträtiert und zugleich die Instabilität von lebendigen Menschen festhält, die im echten Leben permanenten Veränderungen unterliegen."
Walter Seidl debütierte als Fotograf 1997 beim steirischen herbst im „Raum für Kunst", der jetzigen Galerie >rotor<. Es folgten Ausstellungen in Antwerpen, München, Wien, Marburg, Sofia und Tokio. Den gebürtigen Grazer, der an der Uni Graz seinen Doktor in Zeitgeschichte machte, ereilte das übliche steirische Künstlerschicksal: Er exilierte nach Wien, wo er in der klassischen KKK-Rolle als Künstler, Kurator und Kritiker unter anderem die „Kunstsammlung" der Erste Bank leitet. Mit seiner Heimatstadt Graz ist Walter Seidl nach wie vor eng verbunden, nicht zuletzt durch seine kuratorische Tätigkeit bei „Camera Austria". In seinem nächsten Projekt, der Video-/Diainstallation mit Sound, "Beyond Darkness", wird sich der Vielreisende mit der Sicherheits- und Globalisierungsfrage in Städten beschäftigen.
Werner Schandor, April 2009