Kunst, überlebensgroß (*/**)
Der Bildhauer Samson Ogiamien aus Benin City bereichert gern die steirische Kultur.
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Es ist ein weiter und hürdenreicher Weg von Nigeria nach Österreich. Doch noch schwieriger als das Herkommen ist für viele Menschen das Hierbleiben. Dazu braucht man nämlich einen gültigen „Aufenthaltstitel" und eine Arbeitserlaubnis. Beides fehlte dem 1970 geborene Samson Ogiamien, als dieses Porträt anno 2008 erstveröffentlicht wurde, er hoffte auf einen positiven Asylbescheid.
Nach seiner Ausbildung und der Leitung einer Bildhauerwerkstatt, floh Samson Ogiamien 2004 nach Österreich. Den Willen, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und sich so gut wie möglich in die hiesige Gesellschaft zu integrieren, kann man ihm jedenfalls nicht absprechen. Statt tatenlos auf den Ausgang des Aufenthaltsverfahrens zu warten, hat der junge Künstler die zweijährige Meisterklasse für Bildhauerei an der Grazer Ortweinschule besucht und im Sommer 2007 mit ausgezeichnetem Erfolg abgeschlossen. Auch die rege Ausstellungstätigkeit Ogiamiens zeugten von guter Integration in die heimische Kulturszene. So konnte man seine Kunst im März 2008 im Museum der Wahrnehmung (Muwa) sehen, wo sie Teil der außergewöhnlich erfolgreichen Ausstellung „Euro-Africans" war.
Die Werke Ogiamiens, stets in der Tradition seiner engeren Heimat, zeigen den Menschen in semiabstrakter Darstellung, oft unter Verwendung „moderner" Materialien wie Beton, Eisen, Lack und Polyester. Fast 1300 Jahre lang bestand das Königreich Benin, dessen mythische Figuren von Samson Ogiamien zu neuem Leben erweckt werden. Dazu kommen christliche Einflüsse, etwa Engel, die Jungfrau Maria oder der Teufel. Waren die Objekte, die Samson Ogiamien ursprünglich herstellte, oft an die vier Meter hoch und sehr mächtig, beschränkt er sich in Graz meist auf kleinere Formate. Aus praktischen Gründen, musste doch etwa seine aus Spritzbeton und Lack gefertigte Skulptur „The Treasure" vom Rösselmühlpark in den Kunstgarten Lieboch transferiert werden. Dennoch sagt er: „Meine Leidenschaft sind große Stücke. Wichtig ist mir vor allem, dass die Werke auch von Menschen verstanden werden, die sich sonst wenig mit Kunst auseinandersetzen. Ich möchte gerne die Leute dabei unterstützen, ihre eigene Kreativität auszuleben." So vermittelt der Künstler seine Fähigkeiten auch in Workshops an Schulkinder und interessierte Erwachsene.
Die Verbindung zwischen dem Leben in Europa, insbesondere für Migranten, und Elementen der westafrikanischen Kultur ist Ogiamien wichtig. Über seine Abschlussarbeit an der Ortweinschule, einen großen „Ausrufer" aus Eisen, sagt er: „Ich wollte auf das Leben der Ausländer in Graz aufmerksam machen, das wirklich nicht einfach ist. Mein ‚town cryer' soll den weniger Privilegierten eine Stimme geben." Dass die zweieinhalb Meter hohe Skulptur vor dem Megaphon-Café im Augartenpark eine dauerhafte Heimat gefunden hat, freut den Künstler. Noch erfreulicher aber ist es, dass Samson Ogiamien sich seinen Lebensunterhalt ganz legal in Österreich erarbeiten darf, da er seit einigen Monaten über eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis in Österreich verfügt
Link: www.ogiamien.at
Wolfgang Kühnelt
Jänner 2008 / geändert Juni 2011
*Update 2011
Samson Ogiamien konnte sich in der heimischen Kunstszene etablieren. Er ist seit 2009 Mitglied des Vereins FAG Freies Atelier Graz und der Berufsvereinigung der Bildenden KünstlerInnen Steiermark. Sein „Ausrufer" wurde im Sommer 2008 von La Strada auf Heimatsuche durch die Stadt Graz geschickt. In der Serie „Agony of the Beloved" hat sich Ogiamien 2010 mit dem Schicksal der Afrikaner in Österreich befasst: Er porträtierte Migranten und Migrantinnen, die hier verstorben sind. Malereien von Stefanie Öttl und der Film „Agony of the Beloved" unter der Regie von Fritz Aigner komplettierten das Kunstprojekt.
Unter den zahlreichen Auftragsarbeiten, die der Bildhauer erhalten hat, sticht besonders der heilige Johannes Don Bosco hervor, ein Auftragswerk der Grazer Pfarre Don Bosco.
ARTfaces-Redaktion
März 2011
**Update 2023: Die Kraft der Kunst
Für das Kunstprojekt „Agony of the Beloved" und die damit einhergehende Steiermark-Tour erhielt Ogiamen 2012 den „Outstanding Artist Award - Interkultureller Dialog", verliehen vom Bundesministerium für Bildung, Kunst und Kultur. 2014 erhielt er den Preis der Stadt Graz zur Förderung herausragender Künstler.
Der gebürtige Nigerianer, der seit einigen Jahren für eine Restaurierungsfirma Denkmäler in ganz Österreich wieder auffrischt, ist definitiv nicht untätig gewesen und war viel unterwegs. So absolvierte er 2015 eine sechswöchige Künstlerresidenz in Sri Lanka, während der Ogiamen Workshops hielt und an Kunstprojekten arbeitete. 2017 nahm er an Symposien in Edinburgh sowie Dundee teil und 2020 hatte er eine Künstlerresidenz in seiner Geburtsstadt Benin City.
Seiner österreichischen Wahlheimat bleibt Ogiamen aber treu, verbindet diese sogar mit der Kultur seines Heimatlandes. So erinnerte er in der Ausstellung „Yaruya" 2016 im Grazer Kunsthaus mit kunstvoll angefertigten Masken an afrikanische Migrantinnen und Migranten, die in Graz gestorben sind. Damit zeigte er, wie wichtig die Erinnerungskultur in Nigeria ist.
Seit 2021 ist Samson Ogiamen für die Konzeption und Durchführung des Kunstprojektes „Iyagbon's Mirror" in Zusammenarbeit mit der Kompanie Onyrikon verantwortlich. Dieses Projekt behandelt ein sehr aktuelles und kritisches Thema: die Herkunft und die geforderte Rückgabe von Tausenden von Artefakten, die europäische Museen direkt oder indirekt durch koloniale Ausbeutung und Diebstahl erworben haben.
Über seine Arbeit sagt Samson Ogiamien: „Ich verstehe meine Kunst als ein Medium der Kommunikation. Sie kann und sollte Material für Diskussionen liefern und eine Debatte über die dargestellten Themen auslösen. Im besten Fall schafft sie selbst Kommunikation und verbindet Menschen. Das ist die Kraft der Kunst."
Felix Ernst
November 2023