Clown-Bomber und Liliput-Kunsthallendirektor
Christian Eisenberger ist ein Perspektivenspieler
Zu Beginn des Jahrtausends tauchten graue Gestalten in der Grazer Innenstadt auf. Gesichtslose Männer, Kofferschlepper, Bettler, Frauen mit Kopftüchern. Die kleinen, anonymen Gemälde auf Karton entstammten alle dem gleichen Pinselstrich. Die Figuren bevölkerten temporär sogar zu Hunderten die Stadt. Woher kamen sie? Eine Werbekampagne? Ein Teaser, auf den bald die Auflösung folgen sollte? - Nein. Eine Kunstaktion. „Eisenberger", raunten sich bald „Eingeweihte" zu. „Ein ganz junger Künstler" aus der Steiermark. Und ja, man könne, dürfe und solle die Figuren einfach mitnehmen. Kunst für alle quasi. Zum Mit-nach-Hause-Nehmen. Wer sich damals traute, darf nun Werke sein Eigen nennen, die heute im internationalen Kunstgeschäft keine unbekannten mehr sind und etwa im Living Art Museum in Reykjavik, im Museo de Arte Moderno in Mexico City, in der Sammlung Essl in Klosterneuburg und in der Neuen Galerie in Graz vertreten sind.
Mittlerweile hat der 1978 in Graz geborene Christian Eisenberger über 8.000 „Pappkameraden" geschaffen, die den öffentlichen Raum bespielen und den kommerziellen Wert von Kunst ad absurdum führen. Eisenberger begann mit 21 an der Ortweinschule in Graz Malerei zu studieren. Seit 2000 studiert er an der Universität für Angewandte Kunst in Wien bei Brigitte Kowanz. Er produzierte tausende Zeichnungen, Malereien, aber auch Gebäude und Objekte aus Karton: Für die Wiener Werftgalerie ließ er den Kölner Dom aus Karton kopfüber von der Decke baumeln, aus alten Schachteln und Papprollen wurden ein Papamobil und ein Formeleinsauto in Lebensgröße konstruiert. In der Arbeit „Sassi City" entstand eine auf drei Etagen begehbare Stadt: Die Perspektiven
sind dabei verkehrt, die Häuser, die dem Betrachter am nächsten sind, sind die kleinsten.
sind dabei verkehrt, die Häuser, die dem Betrachter am nächsten sind, sind die kleinsten.
Das Spiel mit Perspektiven zieht sich durch das Werk des jungen Künstlers. Seine Installationen und Objekte sind oft Kombinationen aus Fundstücken, Witz und dem Spiel mit Tabus. Eine der jüngeren Arbeiten Eisenbergers etwa sind Kopien des Berliner Holocaust-Denkmals von Peter Eisenman sowie die New Yorker Twin Towers aus Zuckerwürfeln. Ameisen überzogen die „Gebäude" und wurden Performance-Teilnehmer. Zu weiteren „Twin Towers" wurden auch jene über 10.000 Zeichnungen, die Eisenberger in den letzten Jahren fertigte, und die er in zwei Stapeln, mit Metall fixiert, zur Skulptur werden ließ: Zweidimensionale Kunst mutierte zu dreidimensionaler.
Seine aufsehenerregendsten Arbeiten sind aber die performativen, die zwar im Einsatz des eigenen Körpers Referenzen an die österreichischen Aktionisten der 1960er-Jahre und zu Valie Export sind, die dabei allerdings neue Blickwinkel eröffnen. Die radikalste Form war dabei bisher eine Aktion in der Grazer St. Andrä-Kirche, wo sich Eisenberger 2007 während der Fastenzeit in einem selbstgebauten Verschlag 40 Tage lang einschloss, fastete, schwieg, arbeitete und so den Ganzkörpereinsatz in der Kunst neu auslotete.
2005 flitzte Eisenberger für die Biennale in Venedig nackt durch die Gegend, am 26. Oktober 2007 marschierte er als Clown mit Sprengstoffgürtel ungehindert zur Angelobung der Bundesheersoldaten auf den Heldenplatz.
2005 flitzte Eisenberger für die Biennale in Venedig nackt durch die Gegend, am 26. Oktober 2007 marschierte er als Clown mit Sprengstoffgürtel ungehindert zur Angelobung der Bundesheersoldaten auf den Heldenplatz.
In der Steiermark ist Eisenberger seit 2002 außerdem als Kunsthallenchef aktiv. Die Kunsthalle K2 steht am Marktplatz seiner Heimatgemeinde Semriach. Hier werden regelmäßig kleinstformatige Arbeiten verschiedener Künstler gezeigt werden, wobei die „Halle" selbst ein Spiel mit Perspektiven ist - sie hat die Maße einer größeren Schuhschachtel.
Colette Schmidt, Dezember 2007