„Es brodelt im Kopf“ (*)
Sonja Harter will keinen schlechten Roman schreiben. Also „leiste ich mir weiterhin Lyrik“. Ein intellektueller Luxus – für das Lesepublikum.
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Also wieder Lyrik. „Da habe ich kein schlechtes Gewissen, ob sie öffentlichkeitswirksam ist", sagt Sonja Harter. Und so wird es noch im Frühjahr einen neuen Gedichtband der 24-Jährigen geben. Zu erwarten sei kein radikaler Schwenk weg vom Vorgänger, dem von viel positiver Resonanz begleiteten Band „barfuß richtung festland" (2005), beruhigt Harter Anhänger ihrer nüchternen, bisweilen wehmütigen, aber selten trostlosen Sprache. Es wird aber auch keine einfache Fortsetzung. Sondern? Strukturierter (in einzelne Gedichtzyklen unterteilt), individueller (mit eigener Interpunktion) und erzählerischer („Mit dem Mut, mehr Wörter zu verwenden") kommt das neue Werk mit dem Titel „einstichspuren, himmel" daher, verspricht die Autorin. Die Ideen für die mit hoher Präzision gesetzten Wortkaskaden stammen aus einer umfangreichen Sammlung von Eindrücken. Gestern Urlaub in Indien, heute Arbeit in Österreich, morgen Lyrikfestival in Lateinamerika. „Ich bin ein sehr intensiver Mensch", beschreibt sie ihr Wesen. Man darf sich das auch als kreatives Chaos vorstellen. Harter: „Ich bin unglücklich, wenn alles voll organisiert ist." Stattdessen „brodelt es länger im Kopf".
Also Lyrik. Aber warum eigentlich? „Ich lese viele gute Romane. Da werde ich selbst keinen schreiben, der nicht so gut ist", begründet sie - abgesehen von kurzen Ausflügen Richtung Drama und Prosa - ihre Genre-Treue. Außerdem: „Meine Lyrik ist gut, so selbstgerecht bin ich." Das finden auch diverse Kritiker und Jurys. Ausgezeichnet mit dem Literaturförderungspreis 2003 und dem frauen.kunst.preis 2006, ausgestattet mit dem Literaturstipendium der Stadt Graz 2005, hat sich Harter binnen kürzester Zeit zu einer Fixgröße am heimischen Literaturhimmel hinaufgedichtet.
Also Lyrik. Aber wie kam's eigentlich dazu? Die Geschichte ist schnell erzählt, weil gerade und rasant wie eine Autobahn: Erste Kurzgeschichten im zarten Alter von sieben, acht Jahren. Mangels eigenen Computers musste damals der Nachbarsbub als Schreibkraft für Harters Fantasy-Storys herhalten. Dann Schülerzeitung mit ersten journalistischen Gehversuchen. Dann - und an dieser Stelle wird aus der Autobahn mit einem Mal ein Highway - dann kam der Erstkontakt mit „Nirvana", der Kultkapelle der frühen 1990er rund um Letal-Exzentriker Kurt Cobain. Die Folge: Harter beginnt während eines halbjährigen Aufenthalts in Kanada selbst Songtexte auf Englisch zu schreiben. Ein nachhaltiges Labor für die typisch reduzierte, rhythmische Sprache. In der Folge habe sie „so herumgedichtet" (Harter). Dann wieder Autobahn: Mit 17 Schreibwerkstatt, mit 18 erste Veröffentlichung in der Literaturzeitschrift „Lichtungen". „Da hat mich Markus Jaroschka auf die Welt gebracht", erinnert sich Harter an ihre Anfänge in Graz. Dann Stipendium, Lesungen, das erste Buch. Ein Gedichtband.
Also Lyrik. Und sonst? „Ich bin eine leidenschaftliche Kulturjournalistin", sagt Harter, die seit Mitte 2007 als Redakteurin bei der Austria Presse Agentur (APA) beschäftigt ist. In Wien. Es war Liebe auf den zweiten Blick. „Diese Stadt habe ich nie mögen", erinnert sie sich. Immerhin sei Graz „ein toller Boden" - um anzufangen, Möglichkeiten auszuprobieren, zu publizieren, besser zu werden. Allerdings immer mit dem Manko, schnell einer Clique zugerechnet zu werden. „Hier gilt es ja schon als Statement, welche Veranstaltungen man (nicht) besucht", beschreibt die Exil-Grazerin die Szene in ihrer Heimatstadt. In Wien könne sich dagegen frei(er) bewegen. Und falls auch das zu eng wird? „Ein halbes Jahr New York oder Paris, das wär' was ..."
Klaus Höfler
Jänner 2008
*Update 2020: „Man macht es, weil man muss."
Die Lyrikerin wurde 2020 mit dem LICHTUNGEN-Lyrik-Stipendium des Landes Steiermark ausgezeichnet. Ein guter Zeitpunkt, um einen aktuellen Blick auf ihr literarisches Leben zu werfen.
Klare Worte, pointierte Gedichte in Bänden und ein Roman sind literarische Ergebnisse einer besonderen Autorin: „Sonja Harter schöpft Begrifflichkeiten aus der Jetztzeit wie kaltes, klares Wasser und fasst sie in reduzierte, fast minimalistische Gedichte. Man kann die Musik hören, wenn man ihre Gedichte liest - hier gibt es keine Pose zwischen den Worten, aber immer Poesie", heißt es in der Jurybegründung von Andrea Stift-Laube zum LICHTUNGEN-Lyrik-Stipendium.
„Ich kann nicht anders", sagt Sonja Harter auf die Frage, warum sie Lyrik schreibe. Sie verfasste ihr erstes Gedicht mit zehn Jahren, der Grund war die misslungene Fahrradprüfung. Angetrieben von einem Gefühl der Wut über die nicht geschaffte Prüfung setzte sie sich hin und schrieb ein Gedicht. Das war der Beginn, und so durchlebte sie auch ihre Jugend: mit dem Schreiben von Gedichten. Als die junge Autorin ihre Gedichte an die Literaturzeitschrift LICHTUNGEN schickte, bekam sie vom Herausgeber Markus Jaroschka die eindeutige und klare Ermunterung, unbedingt weiterzuschreiben.
Sonja Harters ersten beiden Gedichtbände waren noch sehr persönlich und nah am emotionalen Leben. Dieser Zugang hat sich ein wenig verändert: Nun schreibt die Lyrikerin Gedichte über Themen oder Dinge, die sie durch ihre Arbeit als Kulturjournalistin erlebt hat. So nehmen zwei der jüngeren Gedichte Bezug auf eine "ImpulsTanz"-Aufführung. Doch durch ihren Job als Kulturjournalistin und ihre familiäre Situation ist die Zeit für das lyrische Schreiben knapper geworden. Früher schrieb sie jeden Abend. Jetzt nutzt sie Urlaube und Festivals, um Neues zu kreieren. Ein bis zwei Verse formulieren sich im Kopf - um die herum komponiert sie das Gedicht. „Es schießt mir ein", beschreibt sie den Beginn ihres Schreibvorgangs. Ist das Notizbuch, in dem sie ihre Gedichte handschriftlich niederschreibt, nicht gleich zur Hand, versucht sie, sich diese ein zwei Gedanken durch repetierendes Vorsagen bis zum Abend zu merken. Das Notizbuch ist das Kompositionsbuch, da wird geschrieben, herumgestrichen, ergänzt und weggelassen.
Oftmals Wochen später werden die handschriftlichen Gedichte in den Computer übertragen. „Da kann es noch zu leichten Änderungen kommen." Prinzipiell entsteht ihre Lyrik aus nahezu einem Guss. Ihre Gedichte haben immer eine Pointe - sobald die da ist, ist auch das Gedicht fertig. - „Ich bin keine große Arbeiterin an Gedichten."
Zum Veröffentlichen bereit sind jene Gedichte, unter denen schlussendlich auch ein Datum steht. „Ich veröffentliche gleich", gesteht die klar denkende und flott schreibende Lyrikerin. Das ist auch ein Grund, warum sie bei Wettbewerben nicht mitmacht: „Ich habe nie etwas in der Schublade."
Über das LICHTUNGEN-Lyrik-Stipendium freut sie sich sehr. Diese Art von Anerkennung sei etwas Schönes und gebe ihr nun die finanzielle Möglichkeit, sich eine Schreibauszeit inklusive Auszeit von der Familie zu nehmen. „Somit ist das Stipendium eine Reinvestition ins Schreiben."
Das Muttersein hat die Inhalte ihrer Gedichte sowie den Umgang mit Sprache verändert: Die studierte Germanistin beschäftigt sich nun intensiver damit und spielt mehr mit Wörtern im Rahmen der Themen, die sie in ihrer momentanen Lebenssituation beschäftigen. Viele Gefühle, die man mit Anfang zwanzig zum ersten Mal und daher auch exklusiv für sich entdecke, kenne man schon. Daher verändere sich das Schreiben zwangsläufig: „Es gibt jetzt kein klassisches Liebesgedicht mehr."
Im September 2016 erschien ihr Roman „Weißblende". Mit der Arbeit daran begann sie mit 25 Jahren, und sie empfand den Prozess bis zur Veröffentlichung als eine mühsame Angelegenheit. Sonja Harter weiß, dass ihr die Sprache schlussendlich wichtiger war als die Erzählung. Die Pressestimmen reagierten durchaus positiv auf das Buch. Die Autorin aber bleibt realistisch: „Drei Monate nach dem Erscheinen ist ein Roman alt. Spätestens dann sollte man als Romanautor schon den nächsten in Arbeit haben." Sie findet es gemütlicher, Lyrikerin zu sein und meint: „Man macht es, weil man muss und nicht anders kann."
Petra Sieder-Grabner
September 2020