Zwei Schreiberseelen toben in seiner Brust (*)
Thomas Brunnsteiner ist hochgelobter Reisejournalist und verkannter Literat zugleich.
Eigentlich wäre es an der Zeit, etwas über den Schriftsteller Thomas Brunnsteiner zu schreiben, der 2006 mit dem Literaturstipendium des Landes Steiermark bedacht wurde, und der 2007 für eine Kurzgeschichte den Tiroler „Kyrene"-Literaturpreis erhalten hat. Doch wenn etwas über Brunnsteiner geschrieben wird, dann vor allem über seine Arbeit als Journalist, der für renommierte Zeitungen wie „Neue Zürcher Zeitung" oder „Frankfurter Rundschau" und Magazine wie „mare" und „brand eins" literarische Reportagen aus dem hohen Norden und tiefen Osten Europas verfasst. Im Herbst 2007 erschienen 12 seiner Reportagen unter dem Titel „Bis ins Eismeer" im Klagenfurter Wieser-Verlag. Brunnsteiner berichtet da von seinen Erlebnissen als blinder Passagier auf einer Fähre in der Ostsee, von russischen Fischern, die im Hafen von Turku festsitzen, weil ihre Reederei keine Fischereilizenz erwirbt, von einem deutschen Pädagogen, der in Lappland schwierige Jugendliche „zurechtbiegt" und von anderen bemerkenswerten Menschen und Ereignissen.
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" sprach in der Besprechung des Buches vom „Glück", das die Lektüre der Texte Brunnsteiners bereiten; und auch die „Süddeutsche Zeitung" lobte den Autor über den grünen Klee: „Er besieht sich die Dinge, vor denen andere die Augen verschließen, und schildert sie sachlich und unberührt, so dass seine Beschreibungen große Wahrhaftigkeit erlangen, weil sich in dem schlanken und unprätentiösen, ganz auf das Sichtbare konzentrierten Stil die präzise Beobachtungsgabe spiegelt."
So aufgeräumt, sachlich und geordnet Thomas Brunnsteiner in seinen Reisereportagen über Menschen und Geschehnisse berichtet, so ungestüm und überbordend wirken auf der anderen Seite manche seiner literarischen Arbeiten, etwa der Roman „Ich will Taten sehen" (2002), von dem Auszüge im Feuilletonmagazin „schreibkraft" veröffentlicht wurden. Der „Taten"-Roman wirkt wie eine manische Irrfahrt durch literarisches Terrain, wie ein kubistisches Gemälde, auf dem sämtliche Perspektiven durcheinandergeraten sind.
Brunnsteiners jüngere Arbeiten wieder erinnern an die postmodernen Schlüsseltexte eines Jorge Luis Borges: Es sind stilistisch perfekte Prosakleinode, die ein beunruhigendes Bild befremdlicher Orte und Situationen entwerfen. Monolithisch, surrealistisch und von einem Gefühl durchzogen, aus der Welt gefallen zu sein: „Das Grundlose, das dramatisch Ereignislose", nennt es Brunnsteiner.
So oder so: In der heutigen Zeit, wo der spannende und immer nachvollziehbare „Plot" das Um und Auf eines verkaufbaren Buches ist, ist es kein Wunder, dass der hochgelobte Reisejournalist Thomas Brunnsteiner als Literat jenseits aller erzählerischen Kausalitätszwänge noch kein Buch veröffentlichen konnte - trotz Fürsprache prominenter Autoren wie Karl-Markus Gauss. Brunnsteiner durchkreuzt in seinen literarischen Arbeiten prinzipiell herrschende belletristische Erwartungen, er bricht Handlungsstränge, springt zwischen Zeiten, Orten und psychischen Verfassungen seiner Figuren und gibt seinen Lesern auf diese Art harte Nüsse zu knacken. Seine literarischen Texte sind geistige Abenteuer weitab des literarischen Mainstreams.
Dass Thomas Brunnsteiner hierzulande als Reiseschriftsteller und als literarischer Autor nur wenigen bekannt ist, hat jedenfalls nichts mit seinen Texten zu tun, sondern vielmehr mit seinem Wohnort, der da 20 Grad nördlich und 15 Grad östlich von Graz liegt, in Vaattojärvi, einer kleinen finnischen Stadt im Kreis Kolari, einer Grenzregion zu Schweden, auf jeden Fall weit hoch im Norden, jenseits des Polarkreises. Dort, knapp 2.300 Kilometer Luftlinie von Graz entfernt, hat es den 1974 in der Steiermark geborenen und in Graz aufgewachsenen Autor und Journalisten vor ein paar Jahren hinverschlagen. Dort lebt er mit seiner Familie, von dort berichtet er über Land und Leute des Nordens und Ostens, dort schreibt er seine Literatur - hoffentlich noch viel und so intensiv wie bisher.
Buchtipp:
Thomas Brunnsteiner: Bis ins Eismeer. Zwölf Reportagen von den Einwohnern der Welt zwischen Polakreis und Kaukasus. Wieser Verlag: Klagenfurt/Celovec 2007
Werner Schandor, Dezember 2007
Thomas Brunsteiners viel gelobte Reisereportagensammlung „Bis ins Eismeer" ist 2010 unter dem Titel „Jäämerelle saakka" ins Finnische übersetzt worden. Im selben Jahr ist im Innsbrucker Kyrene Verlag endlich auch sein Roman „Taten", erschienen, allerdings unter der offenen Gattungsbezeichnung „Ein Journal". „Taten" zeichnet die fiktive Odyssee des Vogelforschers Joseph Lavender von der Ostsee quer durch Russland bis nach Aserbeidaschan nach. „Die Beobachtungen jedenfalls funkeln, sie lassen Landschaften und Menschen in stets neuem Licht erscheinen und führen, verführen in immer verwegenere Begebenheiten", schreibt Michael Freund in der Zeitung „Der Standard" über das Buch.
Werner Schandor, Mai 2011