Vision der Veränderung (*)
Die Grazer Malerin Verena Rotky animiert zu neuen Denkstrukturen. Sie greift soziale Tabus auf und bricht kulturelle Grenzen nieder.
„Ich arbeite sehr stark mit einem sozialen und gesellschaftskritischen Hintergrund, das ist für mich wahnsinnig wichtig!", sagt Verena Rotky. Die Künstlerin, Jahrgang 1982, verarbeitet ihre Lebenseinstellung, Ideale und Haltungen in aussagekräftigen Werken mit begleitender Lyrik und Prosa.
Rotkys Texte sind Gefühlsausbrüche und tragen das Feuer der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft in sich. Sie sind die wilden Gedanken der Ursprünglichkeit ihrer Werke und entstehen meist vor dem gemalten Bild. Erst wenn die frischen Flammen ihrer Worte zur Ruhe gekommen sind, beginnt Verena Rotky in der Wärme ihrer Glut mit Ruhe und Konzentration zu malen. Bei der Erarbeitung ihrer Bilder ist die junge Malerin Perfektionistin. Rotky stellt ausschließlich den entblößten, menschlichen Körper dar. In seiner verletzlichen, unverstellten Form dient er als Träger für gesellschaftskritische und emotionale Inhalte.
Soweit Rotky zurückblicken kann, war sie Malerin, und soweit sie nach vorne blicken kann, möchte sie es bleiben. „Bei mir gibt es keine Alternative, das ist wie ein Zwang!", sagt die junge Frau und lacht. Mit ihrer Malerei versucht sie alle Menschen zu erreichen, egal welcher Bildungs- oder Gesellschaftsschicht sie angehören. Rotky fühlt sich verantwortlich für ihre Arbeit, reflektiert über den Sinn ihrer Werke und tritt nie unüberlegt vor Publikum. „Es geht um die Darstellung der eigenen Gedanken, darum, einen anderen Weg außerhalb des Systems gewählt zu haben, nicht wieder genau in dem System zu arbeiten", ist Rotky überzeugt und drückt diese Einstellung deutlich in ihren Werken aus.
Verena Rotky träumt von einer Gesellschaft fern von geschlechtlichen und kulturellen Einschränkungen. Mit ihren Bildern, die ausschließlich Hermaphroditen zeigen, möchte sie das Gesellschaftsbild von einer Struktur befreien, die an Vorstellungen festhält, die längst locker sind. Rotky zeigt den männlichen Körper vermischt mit weiblichen Formen und Rundungen, das Mehrgeschlechtliche in uns, das gefangen ist in einem System, das nur die exakte Trennung von zwei Geschlechtern kennt. In ihren Bildern geht es um Ängste, um Zweifel, die man in unserer kapitalistischen Gesellschaft zu verstecken versucht. „Ich möchte darstellen, dass der eigene Charakter immer von selbst durchdringen muss, dass man auf Dauer nichts unterdrücken kann. Es geht in meinen Bildern um eine Art Befreiung, die man sich selbst zugesteht", erklärt Rotky und ist davon überzeugt, dass eine Gesellschaft auch - und vielleicht sogar besser - funktionieren kann, wenn man seine Neigungen, Ängste und Zweifel zulässt, wenn den Menschen mehrere Möglichkeiten offen gelassen werden, nicht nur die eine scheinbar allgemein gültige und anerkannte. „Wir sollten genau das leben, wonach wir uns fühlen", sagt Rotky bestimmt.
Frei von jeglicher Bindung schweben die nackten Körper auf Rotkys großflächigen Bildern durch den undefinierten Raum. Dunkle Räume versinnbildlichen den menschlichen Abgrund, leuchtende Körper den unzerstörbaren Idealismus, das Licht, das sich durch die Finsternis kämpft. Die Malerin möchte ihren Bildern sowohl farbige als auch stoffliche Lebendigkeit einhauchen. Acrylfarben und dicke Schichten Spachtelmasse machen die Leinwand greifbar, zu leben beginnen die Werke durch Rotkys eigene Energie. „Malerei erhält dadurch Leben, dass man Energie von sich weitergibt! Ein Bild lebt nur durch diese Energie", sagt Rotky und strahlt.
Michaela Hawlik
Dezember 2007
(*) Update 2012: "Kunst als Ort der Exzentriker und Träumer ..."
Verena Rotky im Interview mit der Kulturzeitung "80"
Verena Rotky begegnet der Kunst in romantischer Art und Weise. Ihre Aufgabe sieht sie in der Frage nach der Welt und deren Sinn, und das ohne die Gewissheit auf Belohnung. Die unabhängige Kulturzeitung traf die Malerin und führte mit ihr ein Gespräch über den urtümlichen Gedanken der Kunst, Freiheit, täuschende Wahrnehmung und inflationäre Ideen.
In vielen deiner Arbeiten sind dicke Frauen zu sehen - hast du ein Faible für wohlgenährte Menschen, oder sind deine Motive als Metapher zu verstehen?
Sobald ein Körper dick ist, verliert er seine spezifische Form. Merkmale verschwimmen, er ist nur mehr Fleisch. Diese Fülle an Fleisch hat einfach etwas - für mich etwas sehr Ästhetisches! Der Körper verliert das Materielle, die Faszination an der Masse steht im Vordergrund. Irgendwie gefällt es mir, der Fülle jene Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die sie innerhalb unserer derzeitigen Gesellschaft nur im Sinne steigender Produktion und Profits erfährt, allerdings nicht nach außen getragen, sondern auf Körperlichkeit bezogen regelrecht tabuisiert wird.
Und nur nebenbei: In meinen Bildern sind in erster Linie keine Frauen dargestellt. Es sind Männerkörper, bei denen es sich ebenso um weibliche Darstellungen handeln könnte. Die meisten denken, dass es sich um Frauen handelt - und genau um diese täuschende Wahrnehmung geht es in meinen Bildern.
Welche Idee steckt dahinter?
Für die meisten Männer sind die Figuren eindeutig Frauengestalten. Ich will damit zeigen, wie stark der Blick auf Klischees und soziale Strukturen aufgebaut ist. Und dieser ist nur angelernt...
Meine Arbeiten knüpfen an eine Theorie an, an eine utopische Zukunftsvorstellung in Verbindung mit den Theorien der Philosophin Judith Butler. Alles, unsere Wahrnehmung und auch unsere Körperlichkeit, entsteht nur durch unsere eigene Wahrnehmung. Es wäre durchaus denkbar, dass es in Zukunft zu einer Verzerrung kommen könnte; auch unter den Geschlechtern. Die Idee basiert auf dem Gedanken, dass man nicht als Mann oder Frau zur Welt kommt, sondern erst dazu wird. In meinen Arbeiten steht immer der Mensch im Mittelpunkt, es kommt auf das Menschliche an, auf den Einzelnen, der versucht, sich vom System, in dem wir leben, zu befreien ...
... wohin würde sich unsere Gesellschaft entwickeln, wenn wir von diesen Verhaltensmustern Abstand gewinnen könnten?
Unsere Gesellschaft würde sich dorthin entwickeln, wo sich jeder Mensch aussuchen könnte, was er gerne wäre. Ich sehe meine Bilder als Symbole einer grundsätzlichen Befreiung, nicht nur von Geschlechterrollen. Es geht mir um die Darstellung emotionaler Zustände, deren fortwährendem Kampf im Menschen und schlussendlich um deren Akzeptanz in Bezug auf sich selbst und andere.
Muss für dich Kunst eine politische Aussage haben?
Überhaupt nicht. Für meine Kunst sehe ich diese Aufgabe jedoch schon. Ich glaube einfach daran, dass man die Welt mit verändern kann. In der Kunst, bzw. etwas, das ich eher als Lebenskunst bezeichnen würde, kann man seine Aussage außerhalb der gesellschaftlichen Machtstrukturen treffen, und mit Machtstrukturen möchte ich nichts zu tun haben. Denn ich glaube daran, dass nur, wer selbst nicht über andere herrschen oder bestimmen will, frei sein kann.
Wie frei fühlst du dich als Künstlerin?
Ich versuche, nicht zu leben wie andere. Mit der heutigen Zeit habe ich irrsinnige Probleme, auch mit einem sogenannten Kunstmarkt. Ich glaube, dass man kaum noch richtige Kunst (u. a. im Sinne eines erfahrenen Handwerks) schaffen kann. Denn sobald diese bekannt ist und sich verkauft - also sobald sie in Berührung mit der Wirtschaft gerät - verliert sie ihren, wie ich denke, urtümlichen Gedanken.
Was ist für dich der urtümliche Gedanke der Kunst?
Ich denke, ich habe diesbezüglich eine sehr romantische Vorstellung; für mich ist es der geistige Ort der Exzentriker und Träumer, der Außenseiter. Eine ständige Frage nach der Welt und deren Sinn,
und das Bedürfnis, diese Frage sichtbar zu machen, das gesamte Können, Liebe und vielleicht ein Leben lang Geduld dafür aufzuwenden. Sein Leben dieser inneren Aufgabe zu widmen, häufig ohne zu wissen, ob man etwas dafür zurückbekommen wird. So wie es viele Menschen in unterschiedlicher Art und Weise immer wieder getan haben.
Hast oder hattest du Vorbilder?
Kaum. Ich finde auch, dass man sich so wenig wie möglich beeinflussen lassen sollte. Jeder von uns ist einfach so völlig unterschiedlich. Es ist aber schön, wenn man durch Andere Inspiration erfährt.
Hast du eine generelle Herangehensweise an deine Arbeiten?
Ich bin stark durch das Theater, die Bühnengestaltung beeinflusst. Ich baue in meinen Bildern eine Szenerie, die an eine Bühnenszenerie erinnert. Ich habe die Vorstellung eines Raumes, den ich besetze.
Ist dir in der Kunst die Idee oder deren Ausführung wichtiger?
Ich glaube stark an das Handwerk, zumindest in der Malerei und der Bildhauerei. Es ist für mich einfach ein Qualitätsmerkmal. Wenn Handwerk nichts zählen würde, könnte jeder Mensch alles machen. Ideen hat man doch schnell einmal. Diese scheitern in der Regel an der Umsetzung. Sonst kann ja jeder Maler sein. Es geht dabei häufig nur mehr um Selbstvermarktung und nicht mehr um die Kunst selbst.
Aber vielleicht ist es ja andererseits auch so, dass jeder, der dazu gewillt ist, „Künstler" ist; ich denke, dass, wenn wir alle völlig frei wären, jeder zu allem befähigt wäre.
Muss Kunst extrem sein?
Glaube ich nicht, aber sie sollte womöglich eine Reflexion unserer Zeit darstellen. Das gelingt aber nur ganz wenigen Arbeiten, oft rutscht die Kunst in reine Selbstdarstellung ab. Aber wahrscheinlich ist genau das für die jetzige Zeit charakteristisch.
Wie wichtig ist Selbstvertrauen für einen Künstler?
Ich glaube, man kann sich schnell einmal einbilden, dass man „gut" ist. Und gerade in unserer Zeit kommt es viel zu oft auf Selbstvermarktung an. Früher, so kommt es mir vor, ist es mehr ums Können gegangen, man hat sich langsam vorgearbeitet. Ich glaube einfach, dass „Selbst-Vertrauen" oft falsch ausgelegt wird; eigentlich liegt der Sinn bereits im Wort verborgen, es geht um Vertrauen in Bezug zur Liebe und der Akzeptanz des eigenen Wesens. Wenn jeder von uns darauf hören würde, würde die Welt wohl anders aussehen.
Heute hat eher die Egozentrik einen zu hohen Stellenwert erlangt, leider.
Wann möchtest du von deiner Kunst leben können?
Schwer zu sagen, wahrscheinlich hat man sein ganzes Leben lang daran zu arbeiten. Wichtig erscheint mir auch, an diesem Problem nicht zu verzweifeln. Nur die Leidenschaft ist wahrscheinlich auch zu wenig, es bedarf Talent und Glück. Es muss die Zeit passen, in der du tätig bist, und schlussendlich musst du gut genug sein.
Wie viel kannst du mit deiner Kunst verändern?
Ich glaube eher, dass ich mit meinem Leben viel verändern kann. Da glaub ich an das Prinzip, dass wenn du etwas vorlebst, andere dir folgen werden. Wie heißt es so schön: Es gibt keine Gesellschaft, die es nicht wert ist, kritisiert zu werden. Denn Kritik fördert Bewegung, und diese führt wiederum zu Freiheit und Glück.