Inspiriert von der Club-Kultur (*/**)
Peter Jakober: Ich schreibe, was ich hören will.
(* Direkt zum Interview 2018 anlässlich des Johann-Joseph-Fux-Kompisitionspreises)
(** Direkt zum Info-Update 2020)
Peter Jakober lässt sich ungern in ein bestimmtes Eck drängen. „Der Begriff ‚Neue Musik' ist doch lediglich eine Schublade, der man gerne noch einen akademischen Mantel umhängt", so der 1977 in Kaindorf an der Sulm geborene Komponist, der zurzeit in Rotterdam lebt. Er selbst versuche dagegen, beim Schreiben überhaupt nicht daran zu denken, „Neue Musik" zu produzieren.
Bestärkt hat ihn darin vor allem Georg Friedrich Haas, bei dem Jakober - neben Gerd Kühr - an der Kunstuniversität Graz Komposition studierte und dort 2006 auch mit Auszeichnung abschloss. Denn Haas bestärkte ihn darin, nur das zu schreiben, was er auch wirklich hören wollte. Ähnlich wie Haas arbeitet auch Jakober in seiner Musik mit bewusst eingesetzten Unschärfen. Die Inspiration, bestimmte Überlagerungstechniken auf traditionelle Instrumente zu übertragen, kam jedoch aus einer für die Neue Musik unerwarteten Richtung, nämlich aus der aktuellen DJ-Clubkultur. Die Schichtung verschiedener Rhythmen habe ihn besonders fasziniert, so Jakober, der diese Technik in komplexer Weise ausbaute und auf verschiedene Instrumentalzusammenstellungen anwandte.
In der praktischen Umsetzung geht Jakober dabei ungewöhnliche Wege: „Den Musikern werden durch Ohrhörer Klicks in verschiedenen Tempi zugespielt, so lasse sich die für meine Musik notwendige Präzision am adäquatesten umsetzen." Durch die teilweise nur minimalen metrischen Abweichungen entstehen so rhythmische Verschiebungen und Reibungen, die sich durch die teilweise Verwendung von Mikrointervallen auch in harmonischer Hinsicht spiegeln. Ein strenges rationales System verwende er dabei aber nicht. „Ich arbeite zwar gerne mit Primzahlenverhältnissen, aber lediglich deswegen, weil dadurch das größte Maß an Vielschichtigkeit und Freiraum gewährleistet wird."
Für Peter Jakober, der die Interpreten seiner metrischen Schichten auch gerne im Raum auffächert, wird das Komponieren dabei zum Kombinieren von verschiedenen Klangschichten, die entstehende Partitur fungiert als zum Mischpult. Im Gegensatz zu seinen elektronisch ausgestatteten Kollegen sind die verwendeten Mittel jedoch sehr einfach: „Ich arbeite zumeist traditionell mit Papier und Bleistift."
Auf die Frage, warum er so gerne mit diesen rhythmischen Vielschichtigkeiten arbeite und ob vielleicht - ähnlich wie bei Ligeti - ein bestimmter politischer Impetus hinter diesem Spiel mit Parallelitäten stecke, offenbart sich in Peter Jakobers entwaffnender Direktheit wieder seine Verwurzelung in der hedonistischen Club-Kultur: „Es klingt einfach so geil!"
Ob er sich einer speziellen Tradition, etwa der Minimal Music, verbunden fühle? Nicht wirklich. Jakober nennt zwar Steve Reich als eines seiner kompositorischen Vorbilder, den Chancen oder auch Gefahren, sich in den Fahrrinnen von Traditionen zu bewegen, steht er sonst aber gelassen gegenüber. „Man lebt doch immer in Traditionen. Ich selbst habe auch kein Problem anderen Stilen gegenüber."
Eher sind es Filme, die Jakober als unmittelbare Inspirationsquelle nennt; freilich im übertragenen Sinn. Ihn faszinierten die Werke von Alfred Hitchcock und Francois Truffaut, so Jakober, einerseits wegen deren spürbarer Liebe zum Detail, vor allem aber wegen der so unangestrengt wirkenden Selbstverständlichkeit, mit der hier großes Kino gemacht werde.
Robert Spoula
Dezember 2007
(*) Update 2018: Tempoüberlagerungen sind seine Spezialität
Interview mit Peter Jakober anlässlich des Johann-Joseph-Fux-Kompisitionspreises des Landes Steiermark 2018
Peter, du bist der diesjährige Gewinner des Johann-Joseph-Fux-Kompositionspreises. Was bedeuten für dich Preise im Allgemeinen und dieser hier im Besonderen?
Preise sind eine schöne Bestätigung. Und das Preisgeld sichert einen auch in gewisser Weise finanziell ab. Dadurch können Stücke, die wenig bis gar nicht bezahlt sind, ermöglicht werden. Das andere, das Tolle, an diesem Wettbewerb ist, dass es ein geladener Wettbewerb ist. Das heißt, schon für die Ausarbeitung der Idee und einem kurzen Teil der Oper wird man bezahlt. In vielen Wettbewerben muss man ein neues, oft groß besetztes Stück einreichen, und falls man Glück hat, gewinnt man; gewinnt man jedoch nicht, hat man finanziell Pech. Wie wird dann die Erarbeitungszeit der Einreichung abgegolten, wie soll man dann davon leben können?
Du hast bei Georg Friedrich Haas und bei Gerd Kühr an der Grazer Kunstuniversität (KUG) studiert. Was haben dir diese beiden über die Bundesgrenzen hinaus bekannten Komponisten und Professoren für zeitgenössische Musik auf deinen Weg mitgegeben?
Ich habe von beiden Lehrern gelernt, wie man mit musikalischen und kompositorischen Ideen, dem Material, umgeht. Gerd Kühr hat mir unter anderem technisches Werkzeug, Notationen, mitgegeben, Georg Friedrich Haas hat mich bekräftigt mit der Frage: Liebst du das, was du tust?
Wie konntest du deinen musikalisch-kompositorischen Weg finden?
Ich fand den Weg hauptsächlich durch das Aufführen eigener Stücke. Man hört dann in seinen eigenen Stücken etwas, was besonders gut gelungen ist. Man denkt sich, das könnte man musikalisch noch ausbauen, und so entsteht das nächste Stück.
Wie bist du zum Komponieren gekommen? Welche Instrumente hast du gelernt?
Ich habe Blockflöte, Klavier und lange Akkordeon gelernt. Eigentlich wollte ich ursprünglich Filmregisseur oder Filmmusiker werden. Doch mit 13 Jahren schrieb ich meine ersten Stücke, dazu hatte mich meine Klavierlehrerin in Leibnitz motiviert. So entstand die Lust, eigene Stück zu komponieren. Ich gab mit 19 Jahren mein erstes Konzert im Schloss Gleinstätten, wo nur selbst komponierte Stücke auf dem Programm standen. Damals sträubte ich mich noch gegen zeitgenössische Musik, all meine Kompositionen waren eher romantisch.
Ich hörte aber zu Hause experimentellere Musik und habe lang mit mir gerungen, wieso ich so andere Musik schreibe, als die, die ich höre. So kam nach und nach die Liebe zur zeitgenössischen Komposition.
Welche Rolle hat dein Musikkonsum dabei gespielt?
Ich habe mir innovative Popmusik wie die von der Band „Einstürzende Neubauten" oder von „Laibach" angehört. Ich versuchte überhaupt, so viel Musik wie irgendwie möglich zu hören. So war ich auch beeindruckt von der Detailverliebtheit von Klängen in Songs von „Depeche Mode".
Wie komponierst du heute? Hat sich in deiner musikalischen Herangehensweise etwas verändert?
Ja, ich werde ruhiger, in der Musik und in der Herangehensweise überhaupt. Was hoffentlich gleich geblieben ist, ist, was Haas einmal über meine Musik gesagt hat: „Wenn meine Stücke anfangen, ist eine Spannung im Raum."
Mit welchen Themen beschäftigst du dich beim Komponieren?
Mit Tempoüberlagerungen, die ich mathematisch berechne. Aber indem ich schreibe, bin ich Mensch: Ich strebe danach, exakt zu sein und weiß, nie perfekt sein zu können. Ein Beispiel: Warum klingen z. B. 16 erste Geigen im Orchester so, wie sie klingen, und nicht wie eine Geige, die über 16 Lautsprecher zugespielt wird? Weil die 16 akustischen Streicher nicht exakt gestimmt sein können, durch Material und andere Kriterien klingt jedes Instrument etwas anders, und erst dadurch, also durch die Ungenauigkeit, entsteht der tolle Streicherklang.
Und dieser Gegensatz von Exaktheit und Ungenauigkeit ist für mich von zentraler Bedeutung.
In deiner Uraufführung „Primen"1 beim Musikprotokoll 2017 hast du jeder Stimmlage der drei Chöre - also in Summe zwölf - ein eigenes Anfangstempo gegeben, mathematisch genauestens berechnet, so dass zum Schluss wieder alle Stimmen in einem gemeinsamen Tempo landeten. Dazu hatten die zwölf SubdirigentInnen einen Metronom-Klick im Kopfhörer, damit sie exakt dirigieren konnten. Doch der Mensch ist nicht perfekt, und es entwickelte sich eine Diskrepanz zwischen der exakten Berechnung, dem Dirigieren und dem Singen. Sehr spannend.
Danke! Das ist genau das, was mich interessiert. Die algorithmische Berechnung ist ganz genau, aber diese Genauigkeit kann vom Menschen nicht oder nur annähernd übernommen werden, weil er keine Maschine ist. Und das schafft klanglichen Reiz.
Wie überlegst du dir deine Besetzungen?
Ich komponiere viel auf Auftrag, dadurch ergeben sich auch die Besetzungen. Es ist auch finanziell kaum möglich, ins Blaue zu komponieren. Ich erinnere mich an das Musikprotokoll 2007, für das ich den Auftrag bekam, ein Gitarrenquartett zu komponieren. Ich hätte mir vorher nie gedacht, ein Stück für vier Gitarren zu schreiben, aber genau damit konnte ich wesentliche Ideen meiner Musik umsetzen.
Wie ist deine Herangehensweise an die Arbeit des Komponierens?
Ich sitze sehr viel am Computer, um meine Tempoüberlagerungen erstmal hörbar zu machen, das hilft mir beim Schreiben. Da können wir wieder das Beispiel „Primen" nennen: Wie können die Tempi zueinander sein, damit das Stück funktioniert? Oder ich folge dem instrumentalen Gedanken in einem anderen Stück: Was ist z. B. das Typische an der Gitarre?
Wie darf man sich einen Tag im Leben des Komponisten Peter Jakober vorstellen?
Im besten Fall radle ich nach dem Frühstück in mein Studio und um 17 Uhr wieder nach Hause. Die Regelmäßigkeit ist eine schöne Übung, die mir hilft, es auch einmal gut sein zu lassen.
Jetzt hat die zeitgenössische Musik den mitunter undankbaren Ruf, durch Un-Rhythmen oder hohe Intellektualität nur ein kleines Publikum ansprechen zu können. Wie siehst du das?
Mittlerweile denke ich mir, es ist auch okay, wenn nicht alles, was passiert, Massen anspricht. Wenn es dann doch immer wieder mal passiert, ist es natürlich super. Und dann: Ich schrieb ein Stück für eine von Constantin Luser gebaute Molekularorgel, bestehend aus 14 Trompeten, 14 Posaunen und sieben Tuben. Das Stück wurde unter anderem von Laienmusikern zur Aufführung gebracht. Ein anderes Stück schrieb ich für Orgelpfeifen, die von meinen nicht unbedingt musikalisch ausgebildeten, aber trotzdem toll spielenden Freunden angeblasen wurden. Ich versuche, die Musik also auch vom akademischen Umfeld immer wieder loszulösen.
Kannst du deine Musik in Worte fassen?
Man könnte sich beispielsweise Folgendes vorstellen: Es überqueren zehn Menschen eine Kreuzung, und man kann die unterschiedlichen Schrittgeschwindigkeiten hören, die hektisch, schnell oder auch langsam sein können. Sie blenden ein, kommen zu einem, und aus - gehen vorbei. Diese Tempoüberlagerungen sind auch in meiner Musik hörbar.
Wofür hast du nun den Johann-Joseph-Fux-Opernkompositionspreis bekommen?
Für „Populus", eine Idee, die dem Stück „Primen" entsprungen ist. Ich möchte eine Situation kreieren, die total absurd ist, mit dem politischen Impetus „,Wir sind das Volk‘ versus ,Ich bin das Volk‘". Eine Art Zirkus mit politischen Statements. Das Libretto schreibt der Autor Ferdinand Schmatz. Ein Musiktheater für vier SängerInnen, einen Sprecher, zehn MusikerInnen und Liveelektronik. Das Publikum ist in Bewegung und wird sich durch die Szenen bewegen.
Welches Konzert hast du zuletzt besucht?
Ein Konzert von Bonny ‘Prince‘ Billy (Anm. Künstlername des amerikanischen Songwriters Will Oldham).
Welche Vorhaben hast du in naher Zukunft?
Ich liebe Streicher, daher möchte ich eine Komposition und gleichzeitig Klanginstallation im Wiener Aufführungsort „Reaktor" kreieren. Dabei werden drei Räume mit insgesamt 16 bis 20 Streichern bespielt. Alle in anderen Tempi. Dann habe ich noch kleinere Stücke in Planung, und ich freue mich, auf das, was kommt.
1) „Priming": Der Begriff Priming lässt sich mit „vorbereiten" übersetzen. Gemeint ist damit, dass ein erster Reiz (Prime), der durch das menschliche Gehirn aufgenommen wird, die Interpretation bzw. die Reaktion auf darauf folgende Reize maßgeblich beeinflusst. Das heißt, der Prime aktiviert ein Assoziationsfeld, mit dem das danach Folgende in Verbindung gebracht wird. Das ist ein extrem wichtiger Punkt. Gedanken, Emotionen und Handlungen werden nicht kontextlos, gleichsam aus dem Nichts, erzeugt, sondern sie beziehen sich auf Vorhergehendes. Nur ist uns oft die Verbindung mit dem Vorhergehenden nicht bewusst. (Quelle: NLP-Zentrum Berlin)
(**) Update 2020
Im Jahr 2011 begann der steirische Musiker Peter Jakober seine Zusammenarbeit mit dem Performancekünstler Paul Wenninger. Im Rahmen dieser bis heute andauernden Kooperation wurden zahlreiche Projekte im Tanzquartier Wien realisiert. Weitere Ausstellungen und Kooperationen, die Peter Jakober in den letzten Jahren umsetzen konnte, sind jene mit dem Klangforum Wien, der Bühnenbildnerin Anna Viebrock und dem Bildenden Künstler Constantin Luser für dessen Projekt "Molekularorgel".
In seinen Werken beschäftigt sich Peter Jakober mit Denkprozessen und Wahrnehmungsverzerrungen. In letzter Zeit rücken politische Themen immer mehr in den Fokus seiner Arbeiten. Ein Beleg dafür ist das herausragende Werk „Populus", mit welchem Jakober den Johann-Joseph-Fux-Opernkompositionspreis 2018 gewann. Er selbst inszenierte und beschrieb das Werk als „Zirkus mit politischen Statements".
Preise:
2011: SKE Publicity Preis
2012: Stipendium der Akademie Schloss Solitude, Stuttgart
2015: "Erste Bank"-Kompositionspreis
2018: Johann-Joseph-Fux-Opernkompositionspreis
Red.
Juli 2020