Geschichten, die herausfordern
Die musikalische Welt des Saxophonisten Klemens Pliem ist gleichermaßen stringent wie konsequent.
Jeder Mensch, der Musik hört, verbindet mit ihr Bilder, Gedanken oder Geschichten, die in ihrer Emotionalität durch eine Bandbreite von Adjektiven beschrieben werden kann: von heiter fröhlich, bis aufwühlend, spannend, zerrend oder verinnerlicht. So ist es auch mit der Musik von „Hollotrio", dessen Motor Klemens Pliem ist. Das „Hollotrio" - ein dem Namen entsprechend reduziertes Trio mit Saxophon oder Flöte, Schlagzeug und Kontrabass - bewegt sich intellektuell sowie emotional durch vielschichtige musikalische Ebenen, die gemeinhin im Begriff Jazz zusammen gefasst sind. Doch die Musik von „Hollotrio" dehnt den Begriff Jazz weit über seine selbstinszenierten Grenzen hinaus. Dementsprechend spannend klingt die Antwort des Motors des Trios, Klemens Pliem, auf die Frage, wie er seine Musik oder die des Trios einem gehörlosen Menschen erklären würde: „Soll ich es lang oder kurz beschreiben?" - Sein Erzählfluss lässt eher auf eine weitgreifende und tiefschürfende Antwort schließen: Einen großen Teil der Musik mache die Konzeption aus, ein weiterer ebenso großer Teil sei der interaktive, also der emotionale. Das Stück „Space Night" - als Beispiel - transportiere dem Zuhörer ein Bild und gleichzeitig bekomme er Emotionen, die die Tiefe, Weite und Ruhe des Weltalls vermitteln. „Die Stilistik und die Idiome der Musik sind dem klingenden Erzählstil untergeordnet." Als mehr oder weniger geübter Jazz-Zuhörer weiß man, dass diese vielschichtigen Musikerlebnisse nur funktionieren, wenn die Musiker durch ein außergewöhnliches Zusammenspiel brillieren. Gleichzeitig fordert der bestechend hohe intellektuelle Anspruch Publikum wie auch Musiker gleichermaßen heraus. „Spannend ist es, wenn es die Musiker und die Menschen gleichermaßen packt", erzählt Pliem.
Die Musik von Hollotrio sei nichts Reproduzierbares - im Gegensatz zu Pop oder Klassik. Die Stücke fürs Hollotrio sind eigens komponiert, meist von Pliem selbst oder aber auch von seinen zwei Mitmusikern Klemens Marktl (Schlagzeug) und Wolfram Derschmid (Kontrabass). „Jeder schreibt - so soll es auch sein. Die Stücke sind mehr oder weniger durchkomponiert", erläutert Pliem, es gäbe darin auch freie Improvisationen und freie Formen, die zwischen harmonisch streng und harmonisch frei changieren. „Je nach Stück gibt es mehr oder weniger Struktur". Oftmals sei da nur eine kleine thematische Idee von 20 Takten - der Rest bleibt musikalisch frei; in welchen Kurven diese Freiheit verläuft, wird aber sehr wohl ausgemacht.
Wann ihm die Kompostionsideen kommen? - „Manche Dinge reifen langsam, andere muss ich gleich aufschreiben. Oftmals sind es nur Wortfetzen, die dann zu einem Titel werden." Warum diese Musik funktioniert und den Zuhörer bis in die Seele beansprucht und durchflutet, liegt am gekonnten Zusammenspiel der drei: „Das Trio hat so etwas wie einen kompromisslosen Duktus, der die Musiker wie auch das Publikum gleichermaßen herausfordert. Die harmonischen Strukturen werden als loses Gerüst transportiert und führen im Ohr des Zuhörers zu einem Ganzen zusammen." Pliem will mit dieser Musik das Publikum anstrengen - dadurch unterscheidet sie sich auch von jeglichem musikalischen Nebenbeigeplätscher oder von klanglicher Berieselung, eine Art immanente musikalische Wiederholung ohne Dynamik. Deshalb sind die CDs des „Hollotrio" ohne Kompression aufgenommen, damit der Zuhörer der Musik bewusst lauscht - das Hörerlebnis gleicht einem Konzerterlebnis, das durch die Dynamik lebt. Die Instrumentierung des Trios ist seit zehn Jahren gleich, nur der Schlagzeuger hat gewechselt. Geprobt wird mehr projektbezogen. „Hollotrio" treten im kleinen Rahmen und einem bescheidenen Publikum von 30 Menschen genauso auf wie auf Festival-Bühnen, wo ihnen zwischen 500 und 1000 Menschen begeistert zuhören.
Doch das Hollotrio ist nur ein Teil im Leben von Pliem: Er spielt bei verschiedensten Projekten mit, bei fixen Formationen wie auch als Gast, früher war er mehr in Big Bands zu finden. In seinem musikalischen Lebenslauf fallen Namen wie Berndt Luef, Luisa Celentano, Mark Murphy, die Jazz Big Band Graz, Nenad Vasilic Balkan Band und auch Lee Harper. Jetzt sieht er in dieser Art von Musik hauptsächlich seinen Brotjob. Herausfordernde Projekte zeichnen seinen Weg: „Trio & Streichquartett" war besonders spannend. „Unbequemes Zeug", kommentiert Pliem. Ein klassisches Streichquartett trifft auf eine modernste Jazz-Formation. Oder er interpretiert auch musikalisch bildende Kunstobjekte bei einer Ausstellungseröffnung. „Medienübergreifendes Zeugs" nennt er das dann. Doch es begeistern den 50-jährigen Musiker die unterschiedlichsten künstlerischen Herausforderungen: Genauso fasziniert ist er von schwarz-weißer Mittelformat-Fotografie oder von der Grafik oder überhaupt von der bildenden Kunst. Pliem ist ein vielseitiger Mensch, der sein Leben lang mit Kunst und Kultur konfrontiert ist. Für ihn gab es nie Berührungsängste. - Sein Vater ein Musiker, seine Mutter Malerin und auch seine drei Geschwister sind im künstlerischen Bereich tätig. Und in diesem vielschichtigen anspruchsvollen Kunstbereich wird er sich weiter herausfordern und mit konsequenter leidenschaftlicher Begeisterung weiter bewegen.
Petra Sieder-Grabner
Stand: Juni 2012