Angezogen von Kontrasten
Alexandra Schmidt ist eine Schauspielerin, die ihre Arbeit mit einer Mischung aus handwerklicher Präzision, neugieriger Offenheit und unerschütterlicher Spielfreude verfolgt.
Bevor Bühnen, Probenräume, Filmsets und Theaterkollektive ihren Alltag bestimmten, stand Alexandra Schmidt als kleines, buntes Fabelwesen auf einer Volksschulbühne: als „Kleines Ich bin Ich" von Mira Lobe. Für das Muttertagsfest bekam sie damals die Hauptrolle: ein Moment, der für sie größer war als alles, was sie bis dahin erlebt hatte. Dieses kleine Stofftier mit Identitätskrise war ihr erstes Publikumserfolgserlebnis, ihr erstes Gefühl von Verantwortung für eine Figur und der Funke, der etwas in ihr zündete.
Geboren in Graz und künstlerisch geprägt vom Theater am Ortweinplatz (TaO), hat sie am TaO schon früh gelernt, was es bedeutet, Theater nicht nur als Hobby, sondern als echtes Handwerk zu begreifen: lange Proben nach der Schule, Disziplin, Verantwortung und die Erkenntnis, dass Schauspielerin zu sein ein Beruf ist. Und zwar einer, der ebenso fordernd wie beglückend sein kann. Aus dieser frühen Erfahrung heraus entstand nicht nur ihr tiefes Verständnis für kollektives Arbeiten, sondern später auch die Mitbegründung des „Planetenparty Prinzips" - jenes neunköpfigen Performancekollektivs, das bis heute ihre künstlerische Heimat bildet. Dort arbeitet Alexandra auch hinter der Bühne: 2021 führte sie gemeinsam mit Nora Köhler führte sie Regie bei Doomsday. Die Produktion verband Musik, Performance und kollektive Energie und verdeutlichte Schmidt, wie sie zwischen Rollen, Konzepten und künstlerischen Positionen wechseln kann und will.
Zwischen Empathie und Abgrenzung
Die Grazerin studierte Schauspiel am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. Dort lernte sie, Figuren Schicht für Schicht freizulegen, ihnen Psychologie und Körperlichkeit einzuschreiben und sie nie zu verurteilen. Auch dann nicht, wenn ihre Handlungen moralisch nicht mit ihren privaten Vorstellungen vereinbar sind. Schmidts Credo: „Man muss der beste Verteidiger seiner Figur sein." Diesen Anspruch setzt sie kompromisslos um. Für Filmrollen erstellt sie Steckbriefe, Playlists und kleine Alltagsrituale, übernimmt in der Vorbereitungszeit den Kleidungsstil und die Körperlichkeit ihrer Figuren, bis sie selbstverständlich werden. Im Theater hingegen schätzt sie den gemeinsamen Probenprozess, das kollektive Forschen, das Ausprobieren, das Sich-gegenseitig-Bälle-Zuwerfen. Etwas, das im Idealfall in Moment mündet, in dem man auf der Bühne aufhört, sich selbst zu beobachten, weil alles ganz von selbst fließt. Diese Unmittelbarkeit des „Ereignisses Theater" und das gemeinsame Erleben mit dem Publikum ist es auch, wo das Theater gegenüber dem Film eine eigene Qualität aufweist.
Mut zur Hässlichkeit
Ihre Lieblingsperformance entstand 2022/23 während ihrer Studienzeit unter der Regie von Florian Thiel: Václav Havels „Audienz", in der sie die Braumeisterin verkörperte. Eine Figur, die in Havels politischer Farce eine ambivalente, ja tyrannische Rolle spielt. Für Alexandra war diese Rolle eine Grenzerfahrung: eine Figur zu spielen, deren Moral ihr persönlich völlig fremd ist, und doch Motive zu finden, die nachvollziehbar und menschlich sind. Genau darin liegt für sie die Essenz ihres Berufs: Empathie für Figuren zu entwickeln, die man im realen Leben vielleicht nicht mögen würde, aber die dennoch ein Recht auf Wahrhaftigkeit haben.
Alexandra Schmidt ist eine Schauspielerin der Kontraste: Sie liebt den Film und das Theater gleichermaßen, den Realismus wie das Groteske, humorvolle Schrägheit ebenso wie psychologische Tiefe. Traumrollen? Alles, was nicht offensichtlich „ihr Typ" ist. Gerne schroff, hässlich, gebrochen, überzeichnet oder auch ein Vampir, warum nicht?! Hauptsache, es fordert sie heraus. Alexandra Schmidt ist leicht zu begeistern für neue Formen, neue Menschen, neue Herausforderungen. „Offen zu bleiben", sagt sie, „ist das Wichtigste an der Tätigkeit Schauspiel."
Gut geerdet
Schmidt hat in ihrer Grazer Schulzeit eine Ausbildung zur Elementarpädagogin absolviert. In Zeiten, in denen Rollen ausbleiben, arbeitet sie im Kindergarten - eine Aufgabe, die für sie fast wie eine soziale Feldstudie wirkt. Kinder sind ehrlich und unmittelbar, und das wiederum sind Qualitäten, die die Schauspielerin auch auf der Bühne schätzt. Dieser Kontakt mit echter, ungebremster Weltlichkeit hält sie „auf dem Boden der Tatsachen." Vielleicht liegt darin der Kern ihres Spiels: Mit beiden Beinen fest im Leben stehen und gleichzeitig keine Scheu zu haben, sich in die abgründigen, schrägen, zarten und wilden Ecken der menschlichen Vorstellungskraft zu werfen.
Für Alexandra Schmidt ist der Schauspielberuf ein Privileg. Die Möglichkeit, von der Kunst zu leben, empfindet sie als Geschenk. Und das Schönste daran: ein kollektives Brennen für eine Sache. Jeder Probenprozess, jedes Team, jedes Projekt verändert sie ein bisschen.
Kurzbio
Alexandra Schmidt, (*1994 in Graz) absolvierte ihre Schauspielausbildung am Max-Reinhardt-Seminar in Wien und ist seither sowohl im Film als auch auf der Bühne tätig. Sie ist Mitbegründerin des „Planetenparty Prinzips" und wird von der Agentur UNDR.WIEN vertreten. Zu ihren Film- und TV-Arbeiten gehören unter anderem „Brise", „Siebzehn", „L'Animale" und „SOKO Donau". Am Theater spielte sie u. a. in „Audienz" von Václav Havel die Braumeisterin. 2022 wurde sie für den Max-Ophüls-Preis als beste Nachwuchsschauspielerin nominiert.
Naima Noelle Schmidt*
November 2025
*nicht verwandt mit Alexandra Schmidt

