Wilde, wüste Wortspiele
„Jeder Witz zeigt, dass man die Welt anders betrachten kann“ – das schätzt der Cartoonist Oliver Ottitsch an seiner Profession. Der Steirer widmet sein Leben dem Perspektivenwechsel mit einem „Störungspotenzial" (Ottitsch), das man in diesem Kunstbereich selten trifft. Wie seine Weltbetrachtung mit und ohne Distanz aussieht, verrät er im Artfaces-Gespräch.
Mit 42 Jahren hat ein Künstler im günstigen Fall seine eigene Stimme entwickelt und im günstigsten Fall arbeitet er ein Leben lang am präzisen Schliff und sucht weiterhin mit den besten gespitzten Stiften nach neuen Herausforderungen. All das und mehr trifft auf den Cartoonisten Oliver Ottitsch zu, dessen freundliches Lächeln und klares Selbstporträt (siehe nebenan) in wenigen Strichen nicht zur dunkelschwarzen Härte seiner Cartoons zu passen scheint. Wer einen ausgefuchsten, mehrkantigen Charakterkopf erwartet, der sich feixend über so manche Publikumsverstörung freut, wird von einem Menschen überrascht, der eine sprudelnde Begeisterung für seinen Beruf hegt und seine Liebe zu seinem künstlerischen Tun wortreich und reflektiert schildert.
Der gebürtige Grazer wuchs in der Steiermark auf und wusste sehr bald, dass er, wie er es selbst ausdrückt, einen Beruf „abseits der gemütlichen Bahnen" sucht. Seine Ausbildung zum Verpackungsmittelmechaniker schien das nicht in Aussicht zu stellen. Die Sehnsucht, dass das Leben mehr hergeben möge als Essen, Arbeiten, Fernsehen und dieser „Hunger nach mehr", waren der Grund, neues Terrain aufzusuchen. Ottitschs darauffolgende Wien-Zeit war diesem Drang nach „self expression" geschuldet: „Ich mag Städte und wusste, dass ich mich ins Künstlerische retten möchte, in etwas, das mit Humor zu tun haben muss, denn das ist das Schönste, was es gibt, der beste Seelentrost."
Durch Komik und Humor nehmen wir Abstand von den Dingen, die Distanz macht es möglich, dass wir „Erlösung" (O-Ton Ottitsch) durch das Lachen erfahren können. Wenn der Scharfrichter mit der Axt in der Hand „Kopf hoch!" zum Verurteilten sagt, dann tut das gleichzeitig weh und massiert das Zwerchfell. Diese Einstiegsdroge in die Welt der Ottitsch-Cartoons wirkt immer und macht Lust auf mehr von seinen lieben Bösartigkeiten und wilden bis wüsten Wortspielen. „Das Phänomen beim Humor ist, dass es so viel Unruhe erzeugen kann - und das deutet darauf hin, dass es wichtig ist!" Das Leben an sich, Sex, Tod - die großen Themen bewegen uns alle und die findet man hier.
Wichtige Einflüsse seien neben Charlie Chaplin auch Monty Python gewesen und der Sprachwitz bei den Marx Brothers und Woody Allen, erzählt der Künstler. Zeitungskarikaturist wollte er nie werden - zu klein der inhaltliche Spielraum. Bei den "Komischen Künsten" in Wien, die im Museumsquartier für etwa zehn Jahre mit Galerie, Verlag und Buchhandlung den Humor mitten in die Bundeshauptstadt trugen, fand Oliver Ottitsch schon während seines Studiums (Film- und Medienwissenschaften mit Abschluss) eine berufliche Heimat. Seine Cartoons wurden auch in deutschen und Schweizer Satiremagazinen präsentiert, und seine Cartoonbücher waren ihm willkommene Plattformen, obwohl der Verkauf nicht die leichteste Übung sei: „Ich wollte nicht alles im Internet verschleudern."
Preise, Veröffentlichungen und Bücher bestätigten, dass seine Art des humorvollen Perspektivenwechsels funktioniert. Sein Blick, der immer über den Tageshorizont hinausgeht, lässt viele verschiedene menschliche Reaktionen zu, Verstörung gehört sicher dazu, genauso wie die von ihm erwünschte Distanz zur Welt und zum Thema.
Die Idee ist erst mal „die Art und Weise, wie man denkt", erklärt der Cartoonist. Klarheit, Präzision, Schlichtheit und Eleganz im Handwerklichen sind seine Ziele: „Was muss rein, was lässt man weg?" In Kursen vermittelt Oliver Ottitsch Interessierten diese Kunstfertigkeit - im Denken wie im Zeichnen an sich - und sieht sich dennoch selbst als ständig Lernenden. Kreativ gestaltet sich auch seine Kunstvermittlung: Im Rahmen einer Cartoonshow im Grazer Theatercafé präsentiert der aus privaten Gründen wieder in die Steiermark Zurückgekehrte nun sein aktuelles Buch „Smiley von hinten".
Stolz macht Oliver Ottitsch, wenn er sich selbst überrascht - aber nicht, wenn er erkennen muss, dass der eingangs erwähnte distanzierte Blick auf die Welt privat rein gar nicht funktioniert: „Dann halten sich Dummheit und Eitelkeit die Hände und man ärgert sich. Humoristische Distanz braucht oft Jahre."
Website:
www.oliverottitsch.com
Claudia Taucher
Dezember 2025
Cartoonpreise (Auswahl)
2013: Karikaturenpreis "Pas de deux / Paarlauf" des Goethe-Instituts und der Deutschen Botschaft in Paris
2013: Cartoonpreis der Deutschen Mathematiker-Vereinigung in Berlin
2019: Österreichischer Cartoonpreis (Publikumspreis)
2020: Erster Preis beim Schweizer „Bissfest"-Satirefestival in Baden
2023 „Geflügelter Bleistift" in Bronze beim Deutschen Karikaturenpreis
2023 Zweiter Platz beim Schweizer Cartoonpreis „Bissfest"
Cartoonbücher (Auswahl)
- Kopf hoch! (Edition Komische Künste). Holzbaum, 2012
- Noahs Fleischwaren: Cartoons zum Tier&Wir. (Edition Komische Künste). Holzbaum, 2013
- Gay Nazi Dolphins at a Gang Bang. Holzbaum, 2014
- Endlich Ausrasten. Scherz & Schund Fabrik, 2015
- Die Liebe ist stärker als der Tod. Cartoons & Comics. Scherz & Schund Fabrik, 2021
- Kopf hoch! Director's Cut. Holzbaum, 2022
- Smiley von hinten, Alibri, Bullsmedia, 2025
Ausstellungen in Wien, Graz, Bremen, Kassel, Köflach u. a.







