Körpercello, Wissenschaft und Performance
Anna Grenzners Cello-Spiel ist nicht nur Musik, es ist eine Bewegung, ein performativer Akt, eine Befragung des Körpers selbst als Speicher von Wissen.
Es gibt Musikerinnen, die ihr Instrument spielen, als wäre es eine Verlängerung des eigenen Körpers. Und es gibt Musikerinnen, die aus genau dieser Beobachtung ein künstlerisches Forschungsprogramm entwickeln. Die Cellistin Anna Grenzner gehört unzweifelhaft zur zweiten Kategorie. Ihr Spiel ist nicht nur Musik, es ist eine Bewegung, ein performativer Akt, eine Befragung des Körpers selbst als Speicher von Wissen. Wer ihr zuhört, spürt zugleich: Der Körper spielt immer mit.
Geboren in der Nähe von Barcelona, begann Grenzners musikalischer Weg zunächst mit dem Vater am Klavier, bald schon musizierte sie am Cello. In der Städtischen Musikschule von Sant Cugat entdeckte sie, noch als Kind, die Kraft des Kammermusikalischen, jenes intimen Zusammenspiels, das so viel unmittelbarer wirkt, ohne der Distanz des Konzertsaals. Das Bachelor-Studium am Conservatori del Liceu in Barcelona war ein Schritt in Richtung Profimusikerin, die entscheidende Wendung kam jedoch, als sie dem Ruf nach Graz folgte.
Es war das Masterstudium "Performance Practice in Contemporary Music" (PPCM), betreut von MusikerInnen und ExpertInnen des Klangforum Wien, das sie nach Österreich führte. Dort, unter der Anleitung von Andreas Lindenbaum und Benedikt Leitner, öffnete sich ihr das Feld der Neuen Musik. Und zugleich der Raum der Improvisation: die Arbeit mit der Pianistin und Improvisationskünstlerin Elisabeth Harnik legte den Grundstein für das, was Grenzner heute ihr eigentliches Terrain nennt, nämlich die Suche nach dem Neuen nicht als Selbstzweck, sondern als Experiment, als Horizonterweiterung.
Seitdem hat sich die Cellistin in der europäischen Szene für zeitgenössische Musik einen Namen gemacht. Als Solistin, als Mitglied von Ensembles wie Zeitfluss, Ensemble Coincidence oder dem Styrian Improvisers Orchestra und vor allem als Mitbegründerin des Grazer LaKT Ensembles. Gemeinsam mit dem Komponisten Víctor Morató widmet sie sich dort seit 2020 der „musikalisch-choreographischen Forschung". Das klingt abstrakt, meint aber etwas Konkretes: Jedes Projekt untersucht die Verbindung von Klang und Körper, von Geste und Partitur. Ein
Konzert des Ensembles ist niemals nur ein Konzert, es ist zugleich eine choreographische Versuchsanordnung, in der MusikerInnen auch Performer werden, in der KomponistInnen Bewegungen notieren und TänzerInnen ihrerseits Musik inkorporieren.
Man spürt sofort, dass hier eine Leerstelle besetzt wird. Denn Grenzner beobachtete früh, dass auf der musikalischen Bühne der Körper meist unterschlagen wird. Das Cello klingt, aber die Art, wie es gespielt wird, bleibt unsichtbar, es wird kein performativer Parameter. Umgekehrt, auf der Tanzbühne, bleibt die Musik oft bloßes Beiwerk, Vehikel, um Bewegung anzuleiten. LaKTs Bestreben ist es, diese Trennung aufzuheben. „Der Körper ist immer da", sagt sie, „und zwar als intrinsische Notwendigkeit des Klanges, also warum nicht als Mittel des Ausdrucks ernst nehmen?"
Diese Überlegungen münden nun auch in ein Doktoratsprojekt in Linz, betreut von der Violonistin und Forscherin Barbara Lüneburg. Dort will Grenzner ihre künstlerische Forschung systematisch vorantreiben. Das „verkörperte Wissen", also jene Schicht des impliziten, nicht rationalisierten Wissens, soll zur Grundlage musikalischer Kreation werden. Was MusikerInnen oft intuitiv in den Fingern tragen, das "implicit knowledge", soll hier bewusst reflektiert und zum Material neuer Kompositionen gemacht werden. Ein Forschungsfeld, das jung ist und gerade kartographiert wird.
Neuland beschreitet sie in ihren Soloarbeiten. Gemeinsam mit dem Komponisten Henrik Ajax entwickelte sie 2025 das Projekt a body to a world: ein einstündiges Konzert für Elektronik und Cello, durchzogen von gesprochenen Texten, die der phänomenologischen Philosophie entnommen sind und die Beziehung des Selbst zur Außenwelt reflektieren. Jede Aufführung, so Grenzner, ist eine neue Produktion inklusive angepasster Gewichtungen, ein "work in progress" also. Gerade in der Extremsituation der Solo-Performance, wo jede Geste sichtbar und exponiert ist, öffnet sich ein Raum des Suchens. Ein Nachfolgeprojekt ist bereits in Arbeit.
Das Ensemble Coincidence, dem sie angehört, veröffentlicht im Dezember ein neues Album. Mit dem LaKT Ensemble steht im Oktober ein Auftritt beim Mixtur Festival in Barcelona bevor, eine Art Heimkehr an den Ort, wo alles begann. Dort werden neue Kompositionen mit
Choreographien verwoben, unter anderem von dem in Graz ausgebildeten Komponisten Javier Quislant und dem Choreographen Samuel Feldhandler. Morató entwickelt dafür Werke, in denen auch die Musikerinnen selbst körperlich performen. „Das Choreographische", sagt Grenzner, „findet sich heute bereits in den Partituren selbst wieder."
Und es gibt weitere Horizonte: 2026 ein Klaviertrio in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, neue Kollaborationen mit dem Grazer Ensemble Schallfeld, internationale Projekte, die sich nahtlos in ihre Agenda einfügen.
Dass sie neben der Musik ein Studium der Physik in Barcelona abgeschlossen hat, überrascht kaum. Heute hat sie die physikalische Neugier ins Reich der Klänge übertragen und ins Regime des Körpers. Denn Musik, das zeigt Anna Grenzner mit jeder Aufführung, ist nicht nur Schall. Sie ist auch Bewegung, Geste, Sichtbarkeit. Und sie ist, vielleicht mehr als je zuvor, ein Experiment.
So erzählt die Biografie einer Cellistin zugleich die Geschichte einer Erweiterung. Wer ihr zuhört und zusieht, erlebt die körperlichen Aspekte des Klanges, oder wie der Körper selbst zum Instrument wird.
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Website von Anna Grenzner
denovaire
August 2025

