Dunkle Foto-Geschichten
Die Fotokünstlerin Elisa Wüntscher setzt ihre Porträts und Stillleben konzentriert in Szene, wie man es aus klassischen Gemälden alter Meister aus dem 17. Jahrhundert kennt. In ihren Fotoserien erzählt sie Geschichten über die Gegenwart und die Zukunft.
Im Frühjahr 2025 rückte sie im Rahmen des Atelier-Auslandsstipendiums die griechische Hauptstadt Athen in den Mittelpunkt ihrer fotografischen Erzählungen. Athen hatte Elisa Wüntscher als Kind bei einem Familienurlaub kennengelernt und als helle, leuchtende Stadt in Erinnerung. Diesmal, bei ihrem Aufenthalt in der Snehta Residency, fielen ihr hingegen die dunklen Ecken der Stadt auf - und auch das Drogenproblem, das in einzelnen Stadtvierteln offen zutage tritt. Die Erfahrungen auf den Straßen und das Bewusstsein für die Verantwortung, die das Fotografieren im öffentlichen Raum mit sich bringt, beeinflusst ihre künstlerische Auseinandersetzung mit der Stadt. Denn Fotografie, die eine eigenständige Bilderwelt erschaffen will, basiert auf bewusster Wahrnehmung, genauem Beobachten und der Reflexion der eigenen Arbeitsweise. An den Fotoarbeiten der Künstlerin fallen vor allem die dunkel gehaltene Bildsprache und der gezielte Umgang mit Licht auf.
Dystopische Bildwelt
In Athen hat die Fotokünstlerin an ihrer laufenden Serie „Future II" weitergearbeitet, in der sie fotografisch-künstlerisch den urbanen Raum in Hinblick auf Zukunftsfragen, Verfall und Werteverschiebungen untersucht. Im Zentrum der Werkserie, die Wüntscher 2023 in Rom begonnen hat, steht je nach Ort ein Hauptmotiv - in Rom waren das weiblich gelesene Personen. Dieses Hauptmotiv wird in Beziehung gesetzt zu stadtspezifischen Motiven, welche jeweils eng begrenzte Ausschnitte eines Ortes zeigen. In Rom waren das zum Beispiel Lichtreflexionen auf Kunstwerken hinter Glas, Detailaufnahmen eingehüllter Skulpturen oder Schattenspiele in Stiegenaufgängen.
Im Werkzyklus, den Elisa Wüntscher in Athen angefertigt hat, stehen radikal zurückgeschnittene Bäume im Mittelpunkt der Erzählung. „Gezeichnet vom Eingriff des Menschen, formen sie in meiner Wahrnehmung bizarre Gesten und Ausdrücke", sagt die Künstlerin. In Athen hat Wüntscher viel im öffentlichen Raum fotografiert und dabei auch Orte mit ihrem Equipment aufgesucht, an denen sie sich sonst nicht aufhalten würde, z. B in einer dunklen Fußgängerunterführung. „Ich bin eigentlich ein vorsichtiger Mensch, aber hinter der Kamera bin ich in meinem professionellen Modus und habe das Gefühl, die Situation unter Kontrolle zu haben", erzählt sie.
Das Licht von Rom und Athen
Klassische touristische Stadtansichten spielen in Wüntschers Arbeiten keine Rolle, dennoch ist der Ort relevant, betont die Fotografin, denn „der Ort hat Einfluss auf das Licht. In Rom reflektieren oft die rot-, orange- und gelbtönigen Fassaden das Licht - anders in Athen, wo helle gebrochene Weißtöne die Reflexionen dominieren."
Bei der Präsentation der Arbeiten ist für die Ausstellungsdesignerin mit Master-Abschluss auch der Ausstellungsraum wesentlich. Es ist ihr ein Anliegen, „Bild-Raum und Raum-Bild gestalterisch zu verbinden". Dieser Anspruch zieht sich seit ihrer ersten Solo-Ausstellung („Paradies" Graz) durch ihre Präsentationen, unter denen „Eine Hand voller Steine" (2022), konzipiert für das Besucherzentrum „Welterbe Regensburg" besonders heraussticht. Erste Bilder aus Athen wurden im Mai 2025 im Rahmen der Duo-Ausstellung „Two Sore Thumbs" mit Leon Höllhumer in den Räumlichkeiten der Snehta Residency in Athen gezeigt.
Erzählerischer Ansatz
Beim Arrangieren der Bildserien - der Auswahl und Anordnung der Fotografien - verfolgt Wüntscher keinen dokumentarischen, sondern vielmehr einen erzählerischen Ansatz: „Die einzelnen Bilder kann man in unterschiedlichste gedankliche Zusammenhänge bringen.", sagt die Fotografin. Ihre Serie „Future II" sieht sie dementsprechend eher „wie einen Spielfilm und nicht wie eine Doku. Die Orte sind Bühnen für die Erzählung, die sich aus den Bildern ergibt." Der dritte Teil dieses „Films" soll, so der Plan der Künstlerin, nach Rom und Athen in Paris angesiedelt sein.
Werner Schandor
Juli 2025