Der Mikrokosmos des Makrokosmos
Was im Werk von Nikolaus Lapuch wie informelle Malerei und Plastik erscheint, sind Übertragungen und Abstraktionen von mikroskopierten Motiven.
Nach Teilnahme an einer Künstlerklausur der styrianARTfoundation im Stift Rein beschreibt der Philosoph Erwin Fiala 2014 die dort entstandenen Werke von Nikolaus Lapuch: Seine „künstlerische Arbeit ist von einem starken Interesse an philosophischen und naturwissenschaftlichen Theorien und Phänomenen geleitet", wobei Lapuch aber nicht daran gelegen sei, naturwissenschaftliche oder philosophische Erkenntnisse weitgehend korrekt zu verbildlichen. Vielmehr dienten die beobachteten Phänomene der „Formensuche" wie in diesem Fall der „Gestalt" von Algen beziehungsweise Algenkolonien.
In einem Tümpel nah dem Stift entnahm der Künstler Algenproben. Deren geometrische Muster waren Motive der damals angelegten Bildkompositionen. Auf den Bildträgern wurden Raster (Matrizen) aufgezeichnet, die Formen der Algen nach Zufallsprinzip auf der Bildfläche verteilt. In die Bildträger - Hartfaserplatten - werden Ausnehmungen und Vertiefungen gefräst, teils pastos und in mehreren Arbeitsgängen Farbschichten aufgebracht. Damit sind die Bilder eigentlich schon Reliefs, die nun formal an Notenschriften oder Diagramme erinnern. Das Bild wird zur Plastik und hinsichtlich der Motivfindung des Künstlers erinnert der Philosoph an die Neuplatoniker des 15. und 16. Jahrhunderts, die Analogien zwischen Mikro- (Mensch) und Makrokosmos (Universum) sahen.
Aufgrund seines Interesses an Grafik, dennoch „eher aus einer Laune", erzählt der 1980 in Graz geborene und in Deutschlandsberg lebende Nikolaus Lapuch, habe er sich an der Grazer HTBLA für Kunst und Design eingeschrieben. Nach einem Turnus durch alle Abteilungen, auch Gebrauchsgrafik und Werbung, schloss er die Schule darauf „bei den Bildhauern" ab, nämlich bei Willibald Wagner (1957-2004), der sich als bildender Künstler W. W. Anger nannte. In den folgenden Jahren - und bis heute - arbeitet(e) Lapuch auch als Restaurator, während seine frühen Kunstwerke vorwiegend in phantastischen Zeichnungen und Malerei bestanden - „das war alles recht bunt".
2011 dann bewarb er sich an der Akademie der bildenden Künste bei Erwin Bohatsch (Abstrakte Malerei) und schloss 2019 mit Diplom und dem Würdigungspreis der Akademie ab. Während des Studiums war Lapuch zunächst mit abstrakter und informeller Malerei beschäftigt, mit Walzen angelegte Strukturbilder entstanden. Mit Mikroskopen hatte er schon seit der Kindheit gearbeitet. 2014 kaufte er sich ein erstes Durchlicht-Mikroskop und fand zur Arbeitsweise, die das folgende Werk bezeichnet: Nach Fotografien der Mikrobilder einer Emulsion von Speichel und Tusche, die sich aufgrund der Molekularstruktur nicht wirklich vermischen, werden clusterartige Formen auf Hartfaserplatte in Zeichnung übertragen. Die Zeichnung wird mit Radiernadel ausgenommen und der Bildträger wie eine Druckplatte beim Tiefdruck behandelt. Farbe wird über den ganzen Bildträger verteilt, wieder abgewischt und bleibt in den Ausnehmungen erhalten.
Eine Serie von Tafeln entstand 2016 unter dem Titel Random Walks. Unter dem Mikroskop untersuchte Lapuch die Mischung (eigentlich Emulsion) von Wasser und Tusche und konnte dabei die Brownsche (Molekular-)Bewegung beobachten. Zwar sind die Moleküle der Flüssigkeiten zu klein, um sie zu sehen. Sie lösen aber eine Bewegung - eine Art Zittern, Oszillieren - zwischen den sichtbaren Teilchen aus. Daraus entstehen - in Momentaufnahmen - zufällige Strukturen, die sich infolge immer wieder neu konstellieren. Am Mikroskop wurden einzelne Partikel fokusiert und der Bewegungsverlauf schnell auf Bildträger nachgezeichnet. Mittels Raster und Würfelssystem („Zufallsgenerator", Lapuch) bestimmte er die Position der Zeichnungen auf der Faserplatte, die zudem immer wieder gedreht wurde. Die Serie der Random Walks ist in ihrer jeweiligen Komposition eines Lineaments somit einerseits vom Zufall bestimmt. Dagegen ist definitiv nicht zu beantworten, ob die Brownsche Bewegung zufällig passiert. Gleich einem All Over erscheint (!) das Lineament in Lapuchs Bildern nun als regelmäßige Struktur auf der Bildfläche.
2018, während eines Künstleraufenthalts im Schweizer Bergdorf Bellwald, hatte er wieder ein Mikroskop dabei. Zwei Monate verbrachte er in den Bergen und suchte nach diversen Proben in der Landschaft beziehungsweise an und in Bächen. Er fand Kieselalgen deren Formen er vom mikroskopierten Bild abzeichnete. Nach den Vergrößerungen wurden Schablonen gefertigt und auf Bildträger (Hartfaserplatten) geworfen. Position und Form wurden wieder mit Radiernadel gestochen und, wie oben beschrieben, eingefärbt. In einer zweiten Serie aus der Schweiz zeichnete er die Formen von Flechten auf Felsen nach, die wiederum auf Holzplatten übertragen wurden. In mehreren Arbeitsgängen wurden leicht variierte Farbschichten aufgetragen, bis sich ein an die Flechten erinnerndes All Over ergibt, das nun schon den Charakter eines Reliefs trägt.
Für neuere Arbeiten, präsentiert zuletzt in einer Ausstellung der Kunsthalle Graz (Mai/Juni 2025), verwendete er dagegen kein Mikroskop. In die Bildträger sind Vertiefungen geschnitten, nach ihrer Form ähnliche und ebenfalls geschnitzte kleine Körper werden aufgebracht, dazu mehrere Farbschichten. Die Strukturen erinnern an Wurzelwerk, die „Raumvorstellung" (Lapuch) entstand aber aus dem langjährigen Gebrauch des Mikroskops.
Website: www.nikolauslapuch.at
Wenzel Mraček
Juni 2025