Leben zwischen Heidenreich-Post und Hamster-Tattoo
Susanne Kristek hat drei Bücher geschrieben, die man als Pageturner in jeder psychischen und physischen Lebenslage gut lesen kann. Daneben ist sie stolze Erfinderin des Strickkinos, der Lesebühne zum Mitlesen und des Ausdrucks „Tschick Lit“, der der sogenannten Frauenliteratur einen zeitgenössischen und vor allem menschlichen Spin verleiht.
Susanne Kristek ist Werbeprofi und kann keine Geschichten erfinden. Das hat sie lange Zeit von der Literatur abgehalten, da sie sich eben keinen Krimi oder keine fetzige Liebesgeschichte ausdenken kann. Einfälle hat sie aber ohne Ende - immerhin ist sie die Erfinderin des Strickkinos und der Lesebühne zum Mitsingen, die sie regelmäßig im herrlichen Wiener Retro-Kino „Breitenseer Lichtspiele" veranstaltet. Eine Schriftstellerin, die zuerst Lesungen veranstaltete, bevor sie ihren ersten Roman geschrieben hat. Schreiben kann sie nämlich extrem gut, was vermutlich nicht nur den „gefühlt 17.000" Schreibkursen geschuldet ist, die sie im Laufe ihres Lebens besucht hat. „Eigentlich wollte ich immer Lesungen abhalten, das finde ich total schön, aber ich wusste halt nicht, was ich schreiben soll", so die geborene Hartbergerin, die nun in Wien lebt und arbeitet und im Burgenland ein Wochenendhäuschen hat. Zum Verfassen von Bestseller-Romanen ist sie dann - ähnlich wie die gefeierte Gemeindebau-Literatin Stefanie Sargnagel - über das Microblogging auf Social Media gekommen. In ihren Büchern gibt es aber weniger Platz für Weltschmerz und Subkulturpatina - hier tummeln sich auch jede Menge absurd-komische Figuren, die vor allem eines gemeinsam haben: ein großes, warmes Herz, viel Sinn für Freundschaft und originelle Lösungen in der Alltagsbewältigung.
Kunterbunter Kosmos Alltag
Erfunden hat sie unabsichtlich auch den Begriff „Tschick Lit", der bei ihr an die Stelle der „Chick Lit" der 90er-Jahre tritt, in der sich Frauen nur mit ihrer (perfekten) Figur, dem Traummann als Ritter auf dem weißen Pferd und blumigen Cocktails, die kein Mensch braucht, beschäftigten. Susanne Kristek tauscht in ihren Büchern Sushi gegen Extrawurst, Cosmopolitan gegen Cola-Rot und gespritzte After-Work-Clubbings gegen den Klagenfurter Bachmannpreis als Sehnsuchtsort. Man fühlt sich als Frau und Mensch (!) einfach wohlig warm, gut aufgehoben und vor allem spitzenmäßig unterhalten beim Lesen der Geschichten aus dem Susanne-Kristek-Kosmos, von denen keine einzige erfunden ist.
Sie erzählt von ihren Lesungen, die auch einmal in einem Bestattungsinstitut oder bei einer Kunstvernissage stattfinden können, von einer Schreibkollegin, die vor lauter Prekariat ihre Wohnung zwischenvermieten und Schrott für andere schreiben muss. Dann gibt es noch ihren Gatten - einen Spross aus einem Wiener Gemeindebauadel, der seinen Job als Post-Betriebsrat liebt, aber nebenberuflich auch gerne am Strand als DJ arbeiten würde. Dazwischen lässt sie ihre schneeweiße Haut unabsichtlich schwarz-blau ansprühen, weil sie am Strand von Thailand nicht auffallen möchte, muss mit Muttermal- und ADHS-Diagnosen umgehen und eine Social-Media-Influencerin für ein urologisches Produkt finden.
Alltag auf Augenhöhe
Ihr Debüt „Nur die Liege zählt - Urlaub unter deutschen Palmen" (2020, Milena Verlag) handelt von einem Familienurlaub in einem All-Inclusive-Resort in Thailand. Das kleine Buch brachte ihr ein großes, handgeschriebenes Lob von der Literatur-Doyenne Elke Heidenreich und den Auftrag für ein Kinderbuch ein.
„Die nächste Depperte - Von einer, die auszog, um Autorin zu werden" (Gmeiner, 2023) heißt ihr zweites Werk, in dem sie versucht, aus dem Leben eines Feldhamsters am Wiener Zentralfriedhof eine Kindergeschichte zu machen. Dabei lernt sie mit überspannten Kritiken auf Amazon umzugehen, besucht einen weiteren Schreibkurs in Frotteepatschen bei Hera Lind und trifft ihre „Schreibschwester" Martina Parker, die ihr als Bestsellerautorin und Erfinderin des Genres Gartenkrimi mit Rat, Trost und, wenn es sein muss, Tritte in den Hintern beim Schreiben zur Seite steht.
Die Freundin und Mentorin spielt auch im dritten Buch „Geht's noch?!" (Gmeiner, 2024) eine wesentliche Rolle, in dem Susanne Kristek den Literaturbetrieb genauer unter die Lupe nimmt und unter die handwerklich meisterhaft gestrickten Geschichte(n) kurze Tipps und Antworten zum Thema Bücher schreiben und Bücher verkaufen mischt. Auch hier geht es um Erfolg und Scheitern und vorwiegend darum, wie die Autorin damit umgeht, die sich etwa als Reaktion auf die Kinderbuch-Absage einen Comic-Hamster auf den Unterarm stechen lässt. So wird sie etwa zur Leipziger Buchmesse nur aus Versehen ein- und gleich wieder ausgeladen, bricht aus Not in die Wohnung einer Freundin ein und entdeckt dort neben einem geheimen Mitbewohner auch ein pikantes Geheimnis. Der Showdown findet dann mit guten Freund:innen in Cosplay-Kostümen auf einer Lesung der Leipziger Buchmesse statt, wo sie natürlich trotz Widerständen einen Auftritt ergattern konnte (in einer Straßenbahn zwar, aber immerhin!), und wo eine Narzisstin und ein begnadeter Mansplainer ihr verdientes Fett abbekommen. Auch das mehr oder weniger ungeplant - aber wer solche Freunde hat wie Susanne Kristek, dem fällt das Brot einfach nie auf die Butterseite.
Freundschaft statt Liebeskitsch
Die Kristek-Bücher sind keine Schreibtischliteratur, die man im Sitzen und mit vollster Konzentration rezipieren muss, aber auch viel zu schade als Einschlaflektüre im Bett. Mit sehr viel Fingerspitzengefühl, Respekt und Selbstironie beschreibt sie hier sich selbst und ihre Figuren und beweist einmal mehr, dass Liebesgeschichten völlig überbewertet und das echte Leben viel spannender als jede Kriminalerzählung ist. Bei Susanne Kristek muss niemand leiden, sterben oder gar abnehmen. Wie der Berliner Autor Wladimir Kaminer bedient sie sich völlig angstbefreit kräftig am Leben ihrer Mitmenschen und reiht in ihren Romanen kurze Erzählungen aneinander, die in sich eine geschlossene Dramatik aufweisen können, aber auch immer offen für Neues sind. So ist das echte Leben eben, es geht ja immer weiter. Spannend ist auch das Auftauchen von prominenten Figuren, wie eben der Literaturkritikerin Elke Heidenreich, Hera Lind, deren Scheitern und Wiederaufrappeln man gar nicht mehr so am Schirm hatte, dem Schauspieler Manuel Rubey, der sich mit Stricken das Rauchen ab- und das Strickkino angewöhnte. Nach dem dritten Buch (oder ist es ein Band?) hat man das Gefühl, eine kluge, total verrückte, aber ziemlich originelle und integre Freundin mehr zu besitzen - auch wenn sie nur aus Papier zu einem spricht.
Zur Website von Susanne Kristek
Lydia Bißmann
Juni 2025