„Wir sind ja alles!“
Konzeptkunst? Unter anderem. Mixed-Media Art? Auch. Performance? Kommt vor. Musik? Gespielt und gepresst. Das Grazer Künstlerduo GUKUBI MATO ist vor allem eines nicht: eindeutig einzuordnen.
Was zunächst klingt wie ein Begriff aus dem Japanischen ist in Wahrheit ein Akronym: GUKUBI MATO setzt sich zusammen aus den Namen Martin Guevara-Kunerth und Tom Biela. Mato heißt die Zielscheibe im Kyudo, dem japanischen Zen-Bogenschießen - so jedenfalls erklärte es ihnen eine französische Tänzerin und Zen-Bogenschützin. Und tatsächlich wirkt vieles in ihrer Kunst wie ein präziser Schuss auf einen unmarkierten Punkt: konzentriert, fokussiert, mit subtiler Sogwirkung. Der Wirkung ihrer Kunst ist sich Tom Biela bewusst: "Unsere Objekte triggern den Wahrnehmungsapparat". Martin Guevara-Kunerth und Tom Biela lernten einander 2015 bei einer Ausstellung in Feldkirch kennen, wo sie beide als Künstler vertreten waren. Zwei Jahre später kreuzten sich ihre Wege erneut - diesmal in Graz. Es war gleich klar, dass daraus mehr entstehen würde als ein Zufallstreffen.
Mit einer Mischung aus spielerischem Ernst und akribischer Unernsthaftigkeit markieren GUKUBI MATO ein unscharfes Terrain und stellen dabei gleich die Formfrage mit: Was ist Kunst, wenn sie sich keinem Genre verpflichtet fühlt - und warum soll sie überhaupt verstanden werden? „Unsere Kunst soll ohne Vorwissen funktionieren - sie muss nicht verstanden, sondern erlebt werden", erläutert Martin Guevara-Kunerth.
Die Arbeiten des Künstlerduos entstehen häufig aus dem Materialexperiment heraus, reichen von interaktiver Fotografie, multimedialen Arbeiten über kinetische Objekte bis hin zu raumgreifenden Installationen. Sie zeigen sich auf Ausstellungswänden, im öffentlichen Raum, bei Performances - und demnächst auch auf der Akutgeriatrie-Station des LKH Mürzzuschlag: Für diesen Ort wird in Zusammenarbeit mit Matthias Jäger ein großdimensioniertes, farbbasiertes Kunstobjekt als stiller Zeitmesser konzipiert. Drei sich langsam bewegende Scheiben visualisieren den therapeutischen Zeitraum von zwei bis drei Wochen - als visuelle Einladung zur Bewegung und meditativer Impuls im Klinikalltag.
Die Wahrnehmung von Zeit beschäftigt GUKUBI MATO schon länger, etwa bei der Konzeption von UUNU, der "UnUhrNichtUhr": Statt Ziffernblatt und Zeiger rotieren abstrakte Formen, die die Zeit nicht messen, sondern suggerieren. Die Mechanik kann meditativ bis beunruhigend wirken und macht erfahrbar, dass Wahrnehmung nichts Festes ist, sondern ein flüchtiger Zustand, der sich in jedem Moment verschieben kann.
Im Video zur Verleihung des Kunstförderungspreises der Stadt Graz 2024 zeigt sich das Künstlerduo in grellgrünen Sturmhauben - entstanden aus einem spontanen Jux. Was als verspielte Entpersonalisierung begann, wurde zum Markenzeichen und findet sich heute sogar im eigens entworfenen GUKUBI-MATO-Wappen wieder. In einer Kunstwelt, die Sichtbarkeit gerne mit „Gesichtlichkeit" verwechselt, stellen sie beiläufig, aber wirksam die Frage neu: Wer spricht hier eigentlich. Und muss man das wissen?
Kein Vergleich, eher ein Echo. Konzept, subversiver Witz, ein scharfer Blick für Strukturen und für Schnittstellen zwischen Kunst und Alltag - bei GUKUBI MATO klingt etwas an, das auch Timm Ulrichs umgetrieben hat. Ein neodadaistischer Unterton zieht sich durch: Architektur im Rücken, Fotografie im Werkzeugkasten, Autodidaktentum als Haltung. Doch während bei Timm Ulrichs oft die Behauptung selbst zum Werk wurde, nennen sich GUKUBI MATO zwar die CEOs ihres eigenen Labels; doch was sie setzen, bleibt Modell: reversibel und fluid. Mit GUKUBI MATO haben sie ein fiktives System geschaffen, in dem das Spielerische mit größter Präzision ausgearbeitet wird. Ihre Werke, oft in Serien angelegt, sind käuflich zu erwerben - samt aufwendig gestaltetem Echtheitszertifikat, Stempel, Leporello und Logo: ein grafisches Kunstwerk als Beigabe zum Kunstwerk.
„Vielleicht müssen wir gar nicht alle für Kunst gewinnen, aber wir sollten sie gut vermitteln", meint Tom Biela. Es ist kein pädagogischer Satz. Eher ein Hinweis darauf, dass Wirkung nicht vom Konsens kommt, sondern von der Zugänglichkeit. Im Rahmen einer Werkschau wurden Besucherinnen und Besucher bei einer Performance im wahrsten Sinne arschgeweiht - mit temporären GUKUBI-Tattoos. "Es ist eine Unernsthaftigkeit, die wir extrem ernst nehmen", sagt Martin Guevara-Kunerth. Tom Biela formuliert es bildlich: „Wir sind ja alles ... Wir materialisieren Werke aus unserer eigenen Fantasiewelt, dem GUKUVERSE."
Beide gehen heute einem Brotjob nach. Die Auseinandersetzung mit Kunst, sagen sie, lasse sich dennoch nicht abstellen. „Sie findet als ein ständiger Denkprozess und Dialog statt." In mehreren Arbeiten setzen sie auf Stereoskopie, eine Technik, die räumliche Tiefe erzeugt. Mit eigens gebauten Kameras entstehen Fotografien, die mittels rot-blauer Brille betrachtet werden. „Es ist eine optische Täuschung: Du betrachtest eine Fotografie, die aus zwei Bildern besteht. Dein Gehirn interpretiert sie dreidimensional. Die Arbeit UDWMS (Untersuchung der Wahrnehmung maßstabsloser Strukturen), eine Serie aus 4 stereografischen Fotografien eines Reliefs, verzichtet bewusst auf maßstäbliche Anhaltspunkte und liefert so vielschichtige Projektionsflächen. Was bleibt, ist die Frage: Was sehe ich hier eigentlich? Wahrnehmung ist kein Abbild, sondern ein Ereignis. Ein Rätsel, das sich im Sehen selbst erschließt. - Vielleicht ist das Ziel gar nicht so wichtig. Hauptsache, es bewegt sich was.
Website: https://gukubi.com/
Sigrun Karre
Stand: Mai 2025