Richard Avedon trifft „Alltagsgeschichten“
Der Fotograf Philipp Podesser pendelt zwischen LA und Graz, zwischen internationalem Jet-Set und österreichischen Alltagstypen.
„Ich habe ein Problem mit dem Starkult. Heutzutage dreht sich alles um Starmodels, Starfotografen oder Starfilmemacher. „Für mich aber sind die echten Leute Stars", sagt einer, der beide Welten kennt. Der Grazer Fotograf Philipp Podesser, Jahrgang 1977, zog Ende der 1990er-Jahre an die amerikanische Westküste, um am Santa Monica College Fotografie zu studieren. Nach seinem Abschluss mit Diplom arbeitete er zunächst bei Hollywoodproduktionen mit, ehe er international bekannten Fotografen wie Adrien Velicescu oder Björn Kommerell zur Hand gehen durfte. Zurück in Graz, arbeitete Podesser zunächst für das Atelier Jungwirth, ehe er sich 2003 selbstständig machte und bei Projekten des international erfolgreichen österreichischen Fotografen Alfred Seiland mitwirkte. Wie Seiland verfolgt auch Podesser neben der kommerziellen Fotografie eigene künstlerische Projekte. Sein Opus Nr. 1, die Serie „Freischwimmer", präsentierte er mit großem Erfolg im Frühjahr 2010 im Grazer Museum der Wahrnehmung (MUWA).
„Freischwimmer", das sind 17 überlebensgroße Porträts von „echten Menschen", wie der junge Fotokünstler sagt. Es handelt sich um Besucher der städtischer Freibäder in Graz, die Podesser im Sommer 2009 vor die Kamera bat, fast so, wie Gott sie schuf, nur mit Rücksicht auf das Gemeinwesen im Badegewand. Die Körper, die wir zu sehen bekommen, sind, wie sie sind, und wie man sie aus den Freibädern kennt: echte Körper von echten Menschen, die keinen „personal trainer" haben und auch keine Not, besonders auf ihre Figur zu achten. Im Kontrast zu den meist nicht hochglanzmagazintauglichen Körpern steht Podessers meisterliche Ablichtung der Hobby-Modelle. Und so urteilte beispielsweise der Kultursender Ö1 in einer Sendung über die „Freischwimmer", dass die Porträts, die den Vergleich mit Werken Richard Avedons nicht scheuen müssen, Menschen zeigen, die Elizabeth T. Spiras „Alltagsgeschichten" entnommen sein könnten.
Da wir gewohnt sind, in Ausstellungen, aber auch in Zeitungen und Filmen vor allem „schöne Menschen" zu sehen, stellt „Freischwimmer" unweigerlich die Frage nach dem Schönheitsbegriff in den Raum. „Ein Schönheitsideal im engeren Sinn gibt es eigentlich nicht," meint dazu der Fotograf. „Wenn man zurücktritt und sich die Leute in der Gesamtheit anschaut, ist es noch viel interessanter, wie viel Verschiedenartigkeit es gibt. Für mich existiert die Schönheit in der Verschiedenartigkeit der Menschen."
Die Leidenschaft zur Fotografie entdeckte der Grazer übrigens auf Umwegen über das Skateboard: Es waren die Kunststücke und der Lifestyle seiner Skateboardfreunde, die ihn animierten, zur Kamera zu greifen. „Einer musste das Ganze bildlich festhalten, und das war eben ich", erinnert sich der Fotokünstler. Nach dem Erfolg seiner „Freischwimmer" im MUWA soll die Ausstellung auch in Wien und Sarajewo gezeigt werden. Weiters gibt es ein Angebot eine Serie der Arbeiten im neu eröffneten Grazer Bad Eggenberg auszustellen. Philipp Podesser wird unterdessen ab Juni 2010 für längere Zeit mit Kind(ern) und Kegel in die USA übersiedeln, wo seine Lebensgefährtin einen Job angenommen hat. Er will diese Zeit nutzen, die USA zu bereisen und Land und Leute, wie sie sich aktuell zeigen, im Rahmen verschiedener Fotoprojekte festhalten. Leute und Landschaften, beide von ihrer eher peripheren Seite, das sind die beiden großen Themen, die den Blick des Fotografen an sich ziehen. Einige Zeit wird Podesser aber auch auf Transkontinentalflügen verbringen, denn schon jetzt sind in Österreich Projekte fixiert, die im Herbst 2010 abgeschlossen werden wollen, darunter eines, wo Podesser Pendler im Zug porträtieren wird.
Werner Schandor
Juni 2010