Drama unterm Bett (*)
Vom Kleinen ins Große und wieder retour: Die Künstlerin Lea Titz interessiert sich für das scheinbar Unscheinbare
Der Mensch scheint ein Urbedürfnis zu besitzen, Daten in Bilder zu übersetzen: Balken signalisieren Wahlergebnisse, Torten illustrieren die Aufteilung von Abgeordneten im Parlament, Linien, die an Gebirgsketten erinnern, repräsentieren Börsenkurse - oder sie zeigen auf Digitalkameras die Verteilung der Helligkeit bei einem Bild an.
Umstände wie diese faszinieren Lea Titz, 1981 in Graz geboren, derzeit (noch) Studentin an der Universität für Angewandte Kunst in Wien in der Fotoklasse von Gabriele Rothemann. Für eine ihrer Fotoarbeiten hat sie einen Fisch fotografiert - eine Maiflunder nämlich - das Foto am Display stehen gelassen, auf ein Negativ gelegt und mit Hilfe eines Vergrößerungsobjektivs auf Fotopapier projiziert. Das Ergebnis: Ein Bild, das zwei Schichten hat, nämlich die gegenständliche des Fisches - der allerdings fast abstrakt erscheint - und die beschreibende des Displays, auf dem sich alle Daten finden, die das Bild vermessen: Die einer Skyline ähnelnde Kurve der Helligkeitsverteilung, den Stand des Akkus, verschiedene Zahlen und Daten.
Lea Titz interessiert sich oft für das Unscheinbare - so wie sie die ansonsten eher peripher wahrgenommene Anzeige des Digitalkamera-Displays ins Bewusstsein rückt, hat sie auch einen Ort erforscht, der sonst von eher beschränktem Interesse ist: In ihrem Video „Tumbleweed", für das sie 2007 den Ursula-Blickle-Videopreis der Kunsthalle Wien erhielt, filmte sie den Boden unter einem Bett. Doch zunächst wähnt man sich in einer großen Halle oder Tiefgarage - unterstützt wird dieser Eindruck noch vom atemberaubenden Soundtrack, dem berühmten Thema aus „Spiel mir das Lied vom Tod". Erst, als die ersten Staubpartikel aufgewirbelt werden, durchschaut man, wo man sich hier befindet - eine ebenso witzige wie durchdachte Arbeit. Titz hat sie 2008 im Stadtmuseum Graz ausgestellt, gemeinsam mit einigen Fotoarbeiten - wie etwa jener, in der sie sich mit dem „Grazpanorama in sechs Teilen 1840/41" von Conrad Kreuzer beschäftigt hat.
Auch diese Fotoarbeiten drehen sich um das Kleine im Großen: Parallel zu dem Panorama, das einen Rundumblick auf die Stadt zu geben trachtet, zoomt Titz einzelne Details heraus und vergrößert sie so, dass sie stark verpixelt sind. Ebenso ihre Fotoarbeit mit dem schönen Titel „Die Pilze lösen sich vom Boden": Da fotografierte sie bunte Pilze, setzte sie im Computer rasterartig zusammen. Der dunkle Hintergrund, bei dem man den Waldboden noch erahnen kann, erscheint in dieser Arbeit als weiter Raum, fast, als wäre man im Universum. Die Schwammerl erscheinen so wie Planeten, die in allen Farben schillern - lassen in ihrer Anordnung aber auch an eine Sammlung, etwa von Schmetterlingen denken. Dementsprechend hieß das Bild früher auch anders, nämlich „Kollektion II". „Meine Titel ändern sich oft", lacht die Künstlerin. Schließlich wechsle auch der Blick auf die eigenen Kunstwerke häufig.
Titz ist keine, die schnell schießt. Oft denkt sich lange nach, schleicht wie die Katze um den heißen Brei, bevor sie sich entschließt, ein Kunstwerk zu produzieren, erzählt sie in ihrer Wohnung im zweiten Wiener Gemeindebezirk, in der sie häufig auch arbeitet. Und dass sie schon gespannt sei, ob nach ihrem Uni-Abschluss ihre künstlerischen Interessen eindeutiger in eine Richtung gehen, oder ob alles so „konfus" bleibe wie jetzt. Wenn Konfusion in Kunst wie jener von Lea Titz resultiert, dann scheint sie nicht gerade kontraproduktiv zu sein.
Nina Schedlmayer, Mai 2009
Einen Winkel ihrer Wohnung hat Lea Titz zur Kunst gemacht: In die vom Durchlauferhitzer angerußte Decke ihrer Küche ist das Wort DURCHLAUFERHIT(ZER) geritzt. Das Foto davon wurde 2009 als 16 Bogen große Bildfläche an der Strecke des Graz-Marathons plakatiert. „Der riesige Wurm aus schwitzenden Läuferleibern, der sich durch Graz wälzt, erhitzt in meiner Vorstellung die Umgebung, gleichzeitig sollte das Plakat ein echter Durchlaufer-Hit werden", so die Künstlerin. Bezeichnend das gewitzte Spiel der Deutungen, Bedeutungen und Verdeutlichungen. Subtiler noch und feiner tritt es in einer im steirischen herbst für das Institut für Kunst im öffentlichen Raum auf Megascreen veröffentlichten Arbeit zutage: „jetzt und in aller ewigkeit, aber". Dem ebenfalls (halb-)öffentlichen Raum des Shoppingcenters widmet Titz im selben Jahr die beiden Werke „zwei Farben: rot" und „zwei Farben: grün", die auf hintergründige Weise nach dem suchen, was diese Unorte vielleicht doch zu Orten macht.
2009 hat Lea Titz mit der Diplomausstellung „das weisse haus" ihr Studium abgeschlossen. Es folgten Ausstellungen und Projekte für die smallest gallery graz („Anlehnen verboten", eine gemeinsam mit Ernst Koslitsch erdachte Reaktion auf die örtlichen Gegebenheiten der etwas anderen Galerie), den gänzlich öffentlichen Raum (der oben genannte herbst-Beitrag oder „Imagineering" - gemeinsam mit dem Künstlerduo Zweintopf) und in der ehemalige Mediathek in Salzburg („white club space #4"). 2010 gestaltete sie Projekte für das Papiermuseum Steyrermühl („paper friends"), die Werkstadt Graz („Expedit 11") und für das Onetakefilmfestival nr. 5 in Zagreb.
www.leatitz.com
Hermann Götz, März 2011