Anita Witek – Die Imagination des Raumes
korso ARTBox in Kooperation mit der Kultur Service Gesellschaft
Die systematische Video-Überwachung im öffentlichen Raum wird inzwischen als Closed Circuit Televison, CCTV, bezeichnet. Nachdem ein Parlamentarier im britischen Unterhaus damals die weiträumige Installation von Überwachungskameras mit dem, hier sinngemäß wiedergegebenen, Argument verteidigte, man erfahre so, wer die im öffentlichen Raum erfassten Personen seien und was sie dort täten, formulierte Anita Witek den Titel ihres Videos als Frage: do you know where you are, do you know what you've done. Die Intention der Künstlerin bei dieser Arbeit reicht allerdings weit über pro und contra des verbreiteten Sicherheits-Arguments gegenüber den Überwachungskameras hinaus und erwies sich in der Praxis ihrer Recherche als berechtigte Kritik. Die Frage betrifft den Umgang mit respektive die Möglichkeit von Selbstbestimmung über mediale Bilder, auf deren Entstehen kein Einfluss genommen werden kann. Und wie erwartet war es äußerst mühsam, in den Besitz der Videoaufzeichnungen von Bildern der eigenen Person zu gelangen. Ein dramaturgisches Moment erfuhr der zentrale Teil des Videos im Bereich der Londoner Subway. Nach Absprache mit der Leitung der Überwachungszentrale war Anita Witek über Funk mit Monitor-und Kameraoperateuren verbunden, die entsprechend ihres Standortes die jeweiligen Kameras nach dem von ihr eingeschlagenen Weg schalteten. Damit entstand eine Art chronologischer Live-Schnitt. Die Videoaufzeichnungen allerdings wurden ihr nur insofern überlassen, als ihr gestattet wurde, die Sequenzen vom Monitor nochmals zu filmen. do you know what you are, do you know what you've done ist inzwischen in die Sammlung der Neuen Galerie Graz aufgenommen und wurde, nach Teilnahme an inzwischen etlichen internationalen Ausstellungen, im vergangenen November im Rahmen der Ausstellung Another Tomorrow - Young Video Art from the Collection of the Neue Galerie Graz am Landesmuseum Joanneum in der Slought Foundation, Philadelphia, gezeigt. Das Video ist derzeit in der Ausstellung Rewind / Fast Forward. Die Videosammlung in der Neuen Galerie Graz zu sehen.
Fotografie und Illusion.
In mehreren Ausstellungen wurde Before & After nach jeweils neuer Dramaturgie in Diaprojektionen gezeigt. In komprimierter Auswahl wurde Before & After 2003 in der Anthologie Untitled (Experience of Place)3 publiziert.
Die Reise.
Diesem Zyklus, Die Reise der Fotografin, liegt, wie Anita Witek in ihrem Wiener Atelier erzählt, eine Entwicklung zugrunde, die damit begann, dass sie nach Abschluss ihres Studiums in Wien 1997 mit dem Auto nach London gefahren war; zunächst ohne konkretes Vorhaben, immerhin aber „weil ich dort leben wollte". Im Zuge der Wohnungssuche, und der damit verbundenen Annäherung an die noch unbekannte Stadt, entstand eine schließlich sechzehnteilige Bildreihe aus der Intention, sich ihre ideale Wohnung vorzustellen. Aus Printmagazinen zu Architektur und Lifestile schnitt sie Teile der darin gedruckten Fotografien aus, um diese in neuer Konstellation zu montieren und so zu Bildern imaginierter Räume zu gelangen. Die Methode, über vorgefundenes Bildmaterial eigene Raumvorstellungen zu konstruieren, erwies sich als praktikabel und wurde in der Folge präzisiert und ausgeweitet.
Sampling und die „Kamera als UHU“.
Mein Insistieren um die Beschreibung ihres Selbstverständnisses - mit Bedacht auf den vergleichsweise dominanten Entwicklungsprozess des Motivs -, als bildende Künstlerin oder spezifischer als Fotografin, kürzt Anita Witek schließlich mit einer eingängigen Sentenz ab: „Ich verwende die Kamera als UHU." Nach Ausarbeitung als Fotografien im großen Format sind Witeks Raumbilder mit Jean Baudrillard in der Tat als Simulakren zu lesen. Als Fotografien einer von der Autorin konstruierten Wirklichkeit - originale Dokumente mit Vorbehalt, deren Motive so nicht existieren und eigentlich nie existierten.
Über persönliche Wunschvorstellungen einer „idealen Wohnung" führen Witeks Räume inzwischen weit hinaus und werden über Serientitel wie Die Reise der Fotografin und einzelne Bildtitel um ein erzählerisches Moment erweitert, das allerdings angedeutet und der Assoziation von RezipientInnen überlassen bleibt. Der konstruierte Raum - ins Bild gesetzte Möglichkeit - ist somit Protagonist in Anita Witeks Fotografien. Und eine kürzlich von Walter Titz geäußerte Wahrnehmung, diese Räume erinnerten in gewisser Weise an Piranesis Radierungen der Carceri d'Invenzione (Venedig 1745), erscheint der Künstlerin - darauf angesprochen - durchaus plausibel.
Wenzel Mraček
Gespräch mit:
Barbara Clausen, Camera Austria 94/2006, S. 45.
Gunnar Schmidt: Das Gesicht. Eine Mediengeschichte. München 2003, S. 136. Gregor Neuerer (Hg.): Untitled (Experience of Place). London 2003 (Koenig Books).
Anita Witek ...