… damals im Kinderchor
Über die musikalischen Wurzeln des deutschen Jungschauspielers Istvan Vincze
Für Istvan Vincze muss es ein seltsames Gefühl gewesen sein: Starregisseur Peter Konwitschny, der Jahrzehnte über ausschließlich Oper inszeniert hat, macht in Graz eine Sprechtheaterproduktion. Und er - Istvan Vincze, Schauspielstudent - ist wahrscheinlich der einzige unter den beteiligten Darstellern, der schon mit Konwitschny gearbeitet hat. Mehrmals sogar. Das ist allerdings schon eine Weile her, denn Vincze hat seine ersten Bühnenerfahrungen im Kinderchor der Dresdener Semper-Oper gemacht, an der Peter Konwitschny des Öfteren inszenierte. Dass er es mit einem der wesentlichen Regisseure des gesamten deutschen Theaterbetriebs zu tun hatte, war ihm damals weder wichtig noch wirklich bewusst. „Ich bin halt damit aufgewachsen", sagt der große dunkelhaarige Jungschauspieler salopp. Und dann lacht er. Er meint allerdings eher den Musik- als den Theaterbetrieb.
Istvan Vinczes Eltern sind Musiker, der Vater Hornist an der Staatskapelle in Dresden, die Mutter Professorin für Bratsche. Einen Großonkel, fällt Vincze während des Gesprächs ein, hat seine musikalische Karriere sogar von Weimar nach Graz gebracht, 1939 müsse das gewesen sein. Oberborbeck, so der Name des Onkels, leitete in Weimar die Musikhochschule und tat das dann auch in Graz-Eggenberg. Es war wohl jener Felix Oberborbeck, den - trotz nachweislicher Verstrickungen mit dem Nationalsozialismus - auch Theodor Adorno als führenden Chor-Spezialisten seiner Zeit geschätzt hat.
Warum aus Istvan Vincze dann ein Schauspieler wurde? „Ursprünglich wollte ich sogar einmal Sänger werden, das war damals im Kinderchor, ich habe das aber nicht ernsthaft verfolgt." Es lag auch, so Vincze, den Eltern nichts daran, ihre Kinder in die eigenen Fußstapfen zu zwingen. „Die waren, glaube ich, ganz froh, dass wir zu Hause nicht auch noch permanent Musik gemacht haben." Mit 14 oder 15 hat er begonnen, sich mehr fürs Schauspiel zu interessieren, sich sehr viel Theater anzusehen. Es folgten Aktivitäten in der freien Szene, Statistenauftritte, schließlich - nach dem Abitur - die Entscheidung, sich an Aufnahmeprüfungen zu versuchen.
Übers Theater spricht Vincze mit Bedacht, fast zögerlich. Doch gehört er offensichtlich nicht zu jenen Schauspielern, die dazu keine Meinung haben. „Ich finde Theater muss nicht verstecken, dass es Theater ist, das darf es ruhig einmal zeigen. Das ist auch bei Konwitschnys „König Lear"-Inszenierung ein großes Thema. Es geht nicht darum, das Theater offenzulegen nur um des Offenlegens willen, sondern darum, etwas in der Geschichte - Dinge, die hinter der Oberfläche stecken - noch einmal deutlicher zu machen. Das finde ich interessant - wenn ich es sehe und auch wenn ich beteiligt bin."
Vincze hatte in Graz Gelegenheit, bereits an mehreren interessanten Inszenierungen mitzuwirken. Sein erstes Engagement war übrigens „Das Schloss", die turbulente Kafka-Dramatisierung des ungarischen Ausnahmeregisseurs Viktor Bodo. „Bodo spricht kein Wort Deutsch. Und er spricht auch nicht Englisch. Er arbeitete mit Dolmetscherin." Da war es kein geringer Gewinn für die Produktion, dass er - Istvan Vincze, Schauspielstudent - einen aus Ungarn stammenden Vater hat. „Ich habe ab und zu versucht, Missverständnisse zu klären", so Istvan Vincze. Er sagt das in aller Bescheidenheit, ohne sich dabei der Eitelkeit verdächtig zu machen. Und dann lacht er.
Hermann Götz, Jänner 2009