Misstraue der Idylle! (*)
Das richtige Genre im richtigen Moment. Johanna Moder erzählt Geschichten für Bühne und Kino.
Direkt zum *Update 2023
Es gibt ein russisches Sprichwort, das besagt, dass es dort am schönsten ist, wo man gerade nicht ist. Was nicht bedeutet, dass das Hier ganz ungeliebt sein muss, sondern Sehnsucht auch treibender Motor sein kann. Ein wenig verhält es sich so im Fall von Johanna Moder. Die 28-jährige, gebürtige Grazerin ist Regisseurin, schreibt Drehbücher für Film und Bühne. Und „immer, wenn ich eine Bühnenproduktion fertig habe, schwöre ich mir, dass es die letzte war." Als zu intensiv, zu emotional aufreibend empfindet sie den Arbeitsprozess am Theater. Wenn dann aber am Filmset viel weniger stringent alles zu einem Film zusammengetragen wird, da kann die Sehnsucht nach der Unmittelbarkeit in der Theaterarbeit schon wieder aufkommen. „Dafür ist das Endprodukt Film wiederum viel mehr in der Lage zu berühren."
Diese Switchen zwischen den Genres ist prägend für Moders künstlerisches Schaffen. Ein Workshop mit dem Grazer "Theater im Bahnhof" war ausschlaggebend für die Gründung des Theaterkollektivs Dagmar, das VertreterInnen verschiedenster Kunstsparten in sich vereint und sich einer prozessualen Arbeitsweise verschrieben hat. Kein fertiges Bühnenstück ist die Ausgangsbasis, sondern ein „hybrides Gebilde", das irgendwann bühnentauglich ist. Die letzte gemeinsame Produktion nannte sich „Tatort Chor", ein Krimi fürs Theater. Ohne das aktuelle gesellschaftspolitische Geschehen auszuklammern. Im Jänner 2008 folgte mit „Ihre Partei Österreichs" ein theatralischer Kommentar zu den Grazer Gemeinderatswahlen.
Die Krimistruktur ist für Moder ohnehin eine „Königsdisziplin", bei einem „echten" Tatort Regie zu führen, wäre eine echte Herausforderung. „Spannend ist dabei, mit fix vorgegebenen Figuren arbeiten zu können." Den Druck, gleich einen Spielfilm machen zu müssen, empfindet sie hierzulande als viel zu groß. Nach der Arbeit als Regieassistentin bei RegisseurInnen wie Barbara Albert, Michael Glawogger und Jörg Kalt ist es für Johanna Moder aber dennoch an der Zeit, diesen Weg einzuschlagen.
Neben etlichen Kurzfilmen, einem Musikvideo zu „Not My Dog" der Grazer Band „The Base" und dem Dokumentarfilm „Franz - Das 2. Vatikanum geht in Pension" ist „Her mit dem schönen Leben" (2007) ihre bislang längste Produktion. Gemeinsam mit Pia Hierzegger hat sie dafür das Drehbuch geschrieben, das mit dem Thomas-Pluch-Drehbuchförderpreis ausgezeichnet wurde. Selbst hier geht durch die Arbeit mit LaiendarstellerInnen der spannende Prozess der Gegenseitigkeit nicht verloren. „Jeder und jede bringt ihre eigene Geschichte mit, bereichert den Film durch den eigenen Blick", betont Johanna Moder.
„Her mit dem schönen Leben" ist die Geschichte eines pubertierenden Mädchens, dessen Selbstverständnis vom Leben zwischen erster Liebe, Ausgehen und Schule durch die plötzliche Arbeitslosigkeit des Vaters aus den Fugen gerät. Eine Geschichte, die nicht zuletzt Moders Blick auf die Welt dokumentiert. Ein Blick, der gerne auf die Brüche zwischen uns sieht, der der Idylle misstraut und von einem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit geprägt ist.
Judith Schwentner
Dezember 2007
*Update 2023: Moders jüngste Filme
Ende Jänner 2024 läuft im ORF die Serie "School of Champions" über ein Elite-Ski-Internet in den Bergen an, bei der Johanna Moder als Regisseurin für die Folgen 5-8 der ersten Staffel verantwortlich zeichnet.
Ebenfalls Ende Jänner 2024 erfolgte die Erstausstrahlung des Passau-Krimis "Zeit zu beten" mit Michi Ostrowski in der Hauptrolle. Regie führte ebenfalls Johanna Moder.
Mit ihren Kinofilmen konnte die Regisseurin zahlreiche Erfolge verbuchen:
2014: High Performance - Mandarinen lügen nicht (Spielfilm. Regie, Drehbuch)
Moders Debütspielfilm erzählt humorvoll und unkonventionell die klassische Geschichte zweier ungleicher Brüder. Der Anzug tragende Rudi und der fahrradliebende Daniel finden beide Gefallen an derselben Frau, Nora, die bald erkennt, dass die Brüder aus verschiedenen Gründen Interesse an ihr zeigen. Der Humor in dieser Komödie entsteht nicht so sehr durch überzeichnete Charakterkomik, sondern durch die treffende Darstellung verschiedener, im urbanen Raum eng beieinander liegender Milieus: die Geschäftswelt mit ihren leeren Professionalitätsritualen, die künstlerischen Enklaven mit dem Nachhall basisdemokratischer Studentenbewegungen und eine Hippiekommune, die in selbstzufriedenen Weltverbesserungsplattitüden versinkt.
Moders Komödie beleuchtet Themen wie Loyalität, familiäre Bindungen und Manipulation und gewann dafür beim Max-Ophüls-Preis 2014 den Publikumspreis für Abendfüllender Spielfilm.
2019: Waren einmal Revoluzzer (Spielfilm. Regie, Drehbuch)
In "Waren einmal Revoluzer" geht es um zwei befreundete liberale Wiener Paare, die einen Hilferuf ihres russischen Freundes Pavel aus Studententagen erhalten. Pavel ist aufgrund seines politischen Engagements in seiner Heimat in Schwierigkeiten geraten. Entschlossen, endlich aktiv zu werden, statt nur zu diskutieren, helfen die Paare Pavel, nach Österreich zu fliehen. Als er mit seiner Familie ankommt, wird der Alltag aller Beteiligten auf den Kopf gestellt. Die Beziehungsdynamiken werden auf die Probe gestellt, besonders da die Vorstellungen von Hilfe und das Verhalten der Hilfsbedürftigen sich anders gestalten, als erwartet.
Der Film konnte einige Erfolge erzielen, so erhielt beim Zurich Film Festival 2019 den ökumenischen Preis der Zürcher Kirchen. Johanna Moder gewann beim Filmfestival Max Ophüls Preis 2020 den Preis für die beste Regie und wurde beim Thomas-Pluch-Drehbuchpreis 2020 mit dem Hauptpreis ausgezeichnet sowie für den Spezialpreis der Jury nominiert. Bei den Österreichischen Filmpreisen 2021 gab es Nominierungen in mehreren Kategorien, darunter Beste Darstellerin (Julia Jentsch), Bester männlicher Darsteller (Marcel Mohab und Manuel Rubey), Bestes Drehbuch (Johanna Moder, Marcel Mohab, Manuel Rubey), Beste Musik (Clara Luzia) und Bestes Kostümbild (Veronika Albert). Zudem war der Film bei der Romy-Verleihung 2021 für Bester Film Kino, Beste Regie Kino (beide Johanna Moder) und Beste Musik (Clara Luzia) nominiert. Er gelangte außerdem in die Vorauswahl für die Golden Globe Awards 2021 in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film.
ARTfaces-Redaktion
Dezember 2023