Gezügelte Geheimnisse (*)
„Die größte Herausforderung beim Zeichnen“ ist Josef Niederls zentrales Thema: der Mensch.
Direkt zum *Update 2023
„Wir sind immer von Menschen umgeben, und ich bin gerne unterwegs, um Menschen zu beobachten", erzählt der gebürtige Oststeirer Josef Niederl, dessen künstlerisches Interesse von Lore und Luis Sammer in der Mittelschulzeit geweckt und gefördert wurde. Waren seine grafischen und malerischen Anfänge noch „in einem abstrakten Liniengefüge aufgelöst" und die Betrachter gefordert, es einem verwirrenden Puzzlespiel ähnlich im Kopf wieder zusammenzufügen, so entwickelte sich Niederl zu einem Künstler, der Farbe, Struktur und grafisches Element zu einem harmonischen Ganzen fügt, das genug Geheimnisvolles in sich birgt, um der Fantasie Freiräume für Fragen, Interpretationen und vor allem Neugier zu schaffen.
Unzählige Aktstudien in seinen Skizzenbüchern sind die Basis der künstlerischen Arbeit, die für Niederl immer ein faszinierendes „Wechselspiel zwischen Figuren und Farben" darstellt. Auf diese Art werden Gestalten ineinander gesetzt und durch das Umwandern des Modells während des Zeichnens ergeben sich in einem Werk mitunter unterschiedliche Positionen und Ansichten der menschlichen Figur. Ein spontaner Gedanke, eine Szene oder Situation steht am Anfang eines Werks, das zuerst durch Farbflächen oder grundsätzlich sogar durch farbige Blätter geprägt ist. Erst später binden dann die grafischen Formen, meist menschliche Gestalten, das Bild farblich und geben ihm eine inhaltliche und formale „Fassung".
In der gleichen Reihenfolge wie bei der Entstehung erschließen sich Josef Niederls Aquarelle und Acrylmalereien den Betrachtern - ein unbestimmter Farbenrausch nimmt den ersten Blick gefangen, auf den zweiten Blick werden die geheimnisvollen Farbflächen von der Linie eingesammelt und erscheinen gebündelt und manchmal ordnend und zügelnd. Manchmal finden sich auch Schriftzüge auf seinen Bildern, die als kurze Textskizzen den geheimnisvollen und rätselhaften Charakter in seinen Werken noch verstärken. Die Fantasie der Betrachter darf abheben, sich ausdehnen.
Seit 1997 präsentiert der in Graz wohnhafte Künstler seine Werke der Öffentlichkeit, und durch seine Teilnahme an der 6. KünstlerInnen-Klausur 2010 der styrianARTfoundation in Stift Rein begann Niederls Auseinandersetzung mit dem Thema „Lebens-Raum", das er als bereichernde thematische Erweiterung erfahren sollte. Die Frage „Was ist es Wert zu erhalten" veränderte seinen Blick auf die Stadt, auf Gebäude, auf unsere Umwelt. Ausstellungen bedeuten für den 39-jährigen Josef Niederl, der im „bürgerlichen Beruf" als Bauingenieur tätig ist, immer „eine Zäsur" - eine Ausstellung bildet meist den Abschluss eines künstlerischen Arbeitszyklus‘. Und nicht nur deshalb hält er seine Ausstellungs- und Verkaufstätigkeiten überschaubar und damit eher in Grenzen: „Es ist zeitlich sehr aufwendig", neben dem Beruf und seiner Familie sich hier diesen organisatorischen Dingen zu widmen. „Nach außen zu gehen ist eine andere Fähigkeit, die aber vom Malen ablenkt", räumt der Künstler mit Bestimmtheit ein.
Die Malerei begleitete ihn durch seine Schul- und Studienzeit (Letztere verbrachte er in Wien) - die Entscheidung für ein technisches Studium war eine pragmatische, doch scheint Niederl eine gute Balance mit all seinen Lebensbereichen gefunden zu haben. Prägend für seine frühe künstlerische Entwicklung waren auf jeden Fall die eingangs erwähnten Grazer Künstler Lore und Luis Sammer. Auch die Arbeit des von ihm verehrten südsteirischen Malers Gerald Brettschuh - und hier vor allem dessen Aquarelle - beeinflusst(e) sichtlich Josef Niederls Kunstwerke, die jedoch trotzdem eigenständig und selbstbewusst ihren Platz im steirischen Kunstschaffen einnehmen.
„In Ruhe und Unruhe" kann sich Josef Niederl nach einer künstlerischen Zäsur wieder einem neuen Themenzyklus widmen. Menschen in der Stadt und die dortigen Schaufenster sind neue Themen, die ihn in seiner Kunst beschäftigen. 2012 wird er im Sensenwerk Deutschfeistritz neue Werke präsentieren.
Claudia Rief-Taucher
Jänner 2012
*Update 2023: Der Mensch weiter im Mittelpunkt
Auf die Ausstellung im Sensenwerk in Deutschfeistritz folgten zahlreiche weitere Präsentationen seiner Werke. So stellte Josef Niederl in den Folgejahren mehrmals im Atelier, Kunst- und Projektraum von Berenike Wasserthal-Zuccari in Graz aus. 2015 fanden seine Werke den Weg nach Marburg in die Galerija RRRudolf.
Der Kulturreferent der Hofgalerie Steiermarkhof, Johann Baumgartner, sagte über Josef Niederl: „Er rückt den Menschen in den Mittelpunkt seines künstlerischen Schaffens, er konzentriert sich in seinen Arbeiten auf die Geheimnisse der Menschen."
Mitte März 2018 präsentierte Niederl die Ausstellung „Auf[ER]stehen" in der Hofgalerie. Dabei behandelte er das Thema Ostern - insbesondere den Kreuzweg. Johann Baumgartner sagte dazu folgendes: „In seinen Arbeiten rückt er das Leben und Sterben ins Zentrum. Die auffallenden Ölbilder und Mischtechniken „auf[ER]stehen" zeigen seinen eigenständigen Weg in der Malerei. Mit wenig Farbe geht er auf die Menschen im Kreuzweg ein und lässt einen weiten Raum für persönliche Interpretationen offen."
Regelmäßig stellt Josef Niederl seine Werke in der Galerie Centrum in Graz aus. So war er in den letzten zehn Jahren dreimal dort zu Gast, zuletzt im Frühjahr 2023. Winfried Franz Ganster, der die Vernissage lyrisch einführte, fand folgende Worte für die Ausstellung: „Dem Menschen zugewandt - seit Anbeginn seines bildnerischen Schaffens begleitet Josef Niederl das Individuum in seiner Unterschiedlichkeit. Er widmet sich seit Jahren hingebungsvoll der unbedeckten Äußerlichkeit - der Nacktheit - und den nach außen wirkenden Wesensmerkmalen. Den Spuren der Andersartigkeit folgend, interpretiert und vermittelt er diese in seinen Werken durch eine Fülle an Linien und markanten Farbkombinationen. Dynamisches Ineinander, eigenständige Szenen verschmelzen zur bildnerischen Gemeinsamkeit, aus Einzelheiten entstehen Gefüge, Aussagen, Botschaften und mitunter Geschichten."
Felix Ernst
Dezember 2023