So und so und so - Bild (*)
Der Fotograf Christopher Mavrič in einem Licht und in einem anderen und in einem anderen ...
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Da lebt jemand. Mach dir ein Bild. Durch den engen Flur erreicht man eine dunkle Kammer. Flüssige Chemikalien in schäbigem Plastikgewand stehen auf einem Regal. Eine dünne Leine entspannt sich von einer Ecke zur anderen. Eine flache Schale, Pinzetten und Schutzhandschuhe liegen zusammen herum. Oder: Durch den engen Flur erreicht man ein kleines Badezimmer. Es ist wenig Platz für Hygiene- und Behübschungsutensilien in farbenfrohen Verpackungen, ein blitzblankes Standard-Waschbecken hängt dort, wo es hingehört, darüber schwebt ein Spiegelschrank. Handtücher liegen unmittelbar neben der Dusche.
„Wie die einzelnen Elemente eines Bildes miteinander kommunizieren, kann jeder immer wieder unterschiedlich verstehen", erklärt Christopher Mavrič und löscht müde lächelnd das Licht in der Badezimmer-Dunkelkammer. Er ist Fotograf. Mit einem Kaffee in der Hand setzt er sich schließlich auf den Balkon der kleinen Grazer Wohnung, der neben zwei Holzstühlen und passendem Tisch nicht viel mehr Platz für Beine oder andere Körperteile lässt. Erstmal Ruhe. Christopher nimmt einen Schluck, steckt sich eine Zigarette an. Der Rauch wabert um seinen markant eckigen Kopf, spielt mit den braunen Strubbelhaaren.
Wenn Christopher sich bewegt, strahlt er Ruhe aus. Seine tiefbraunen Augen geben nicht Preis, was er denkt oder sieht. Sie erzählen von einem gelassenen und bedachten jungen Mann. „Die Kamera nimmt mehr auf als du selber sehen kannst", sagt er und ascht mit einem Schulterzucken ab. „Früher fand ich alles interessant, mittlerweile fotografiere ich viel gezielter. Ich spüre die Situation, die ich festhalten will in Füßen und Händen."
Sein Interesse für die Fotografie entdeckte der 26-Jährige während des Studiums an der FH Joanneum in Graz. Geboren ist er in Bruck an der Mur. Er ist einer der letzten Diplom-Absolventen des Studiengangs "Informationsdesign". Damals trug er noch eine lange Rasta-Mähne. Seinen frühen Arbeiten sieht man die junge Experimentierfreudigkeit an: buntes Durcheinander, frivole Montagen und viel Skurriles. Heute sind die Haare kurz und Christophers Stil dezenter. Er fotografiert für Werbeagenturen, karitative Einrichtungen und Zeitschriften. Wenn er nicht gerade für jemanden fotografiert, hält er es gerne simpel, analog und schwarz-weiß. Er möchte mit seiner Arbeit, seinen Bildern spielen können. Beim Fotografieren weiß und spürt er, wo welches Lichtsetting, welche Atmosphäre und welche Situation Stimmung erzeugen könnte. Die Mischung zwischen bewusster Entscheidung und Intuition macht das Fotografieren für ihn aus.
Da wirkt jemand. Mach dir ein Bild. Gegenüber dem kleinen Badezimmer eröffnet sich ein großer Raum. Großmutter-Flair macht sich zwischen gedrängten Möbeln breit. Die Schränke sind zugekleistert mit Bildern. Fratzen und Manschgerln in schwarz und weiß. Ein zerknautschtes Sofa mit Kuhlen aus hundert Sitzungen. Sonne scheint herein. Oder: Gegenüber dem kleinen Badezimmer eröffnet sich ein großer Raum. Ein lichtdurchflutetes Alltags-Atelier füllt das Zimmer. Bilder reihen sich an andere Bilder, Geschichte folgt auf Geschichte, ehrliche Schwarz-Weiß-Harmonie mit nostalgischem Beigeschmack. „Die Fotografie ist zuerst Dokumentation meines Sehens, meines Weltbildes und zweitens Dokumentation immer wieder auftretender Lebensmuster und Strukturen", sagt Christopher, als er durch sein kleines Notizbuch blättert. Dass dabei alles relativ ist und Fotografie eigentlich nur vorgibt Realität zu sein oder darzustellen, ist ihm klar.
Er notiert all das, was ihm beim Fotografieren, an seinen Motiven und den größtenteils festgefahrenen Menschen in seinem Fokus auffällt. Den ersten Gedanken, den er damals in seinem Buch festgehalten hat, liest er vor: „Warum müssen wir wegschauen?"- Christopher nimmt noch einen Schluck aus der Kaffeetasse. Den Blick wendet er dabei nicht von seinem Büchlein ab. Tiefe Gedanken. Da gibt es eine Szene, die er vor längerer Zeit fotografiert hat. Eine Frau steht vor einem Schaufenster, starrt in die leere Auslage. Sie spiegelt sich in der Glasscheibe. Es wirkt als würde sie sich selbst anstarren und gleichzeitig nichts sehen. Vielleicht stimmt es ja, dass alles immer anders sein kann, als man glaubt es zu sehen. Christopher zieht einen Mundwinkel hoch, seine Augen sind halb geschlossen. Da weiß einer was, mach dir ein Bild.
Website von Christopher Mavrič: www.c-mavric.at
Henric Wietheger
September 2011
*Update 2023: Visueller Chronist Österreichs
Christopher Mavrič hat sich als Werbe- und Industriefotograf für internationale Kunden im In- und Ausland etabliert. Zu seinen Kunden im Bereich Editorial zählen unter anderen die deutsche Wochenzeitung „Die Zeit", der Falter Verlag, Publikationen von Gruner+Jahr und das Red Bulletin. Seit 2012 unterrichtet er auch an der Akademie für angewandte Photographie in Graz kreative Dunkelkammertechnik.
Als Fotokünstler hat er sich der Porträt- und Dokumentarfotografie verschrieben. Im Februar 2015 ist seine erste Monografie "Wildfremd - Straßenportraits aus Graz & Wien" in der renommierten Fotohof edition erschienen. Die Bilder für seine Ausstellungen produziert er selbst als hochwertige Silbergelatine-Abzüge in der Dunkelkammer oder als Inkjet-Prints. Chris Mavrič ist ausgebildeter Grafikdesigner und zeichnet selbst verantwortlich für die Gestaltung seiner Bücher von der Aufnahme bis zum Druck.
2018 erhielt Mavrič vom Bundeskanzleramt das Staatsstipendium für künstlerische Fotografie zuerkannt. Im März 2020 ist sein Fotobuch "Zwischen Brücken" mit Porträts und Stadtansichten aus Wien-Brigittenau in der Fotohof edition erschienen. Im Jahr 2021 veröffentlicht der Falter Verlag das Sachbuch "Stille Stadt" mit seinen Aufnahmen der Corona-Pandemie in Wien.
Anfang 2022 erschienen zahlreiche seiner Fotos im kulinarischen Text-Bild-Band "In der Frittatensuppe feiert die Provinz ihre Triumphe", herausgegeben von Harald Schmidt im Brandstätter Verlag. 2023 war Mavričs analoger Kurzfilm "Heimatfilm" (2020) mit Musik von Matthias Forenbacher im mobilen Pavillon der „Steiermarkschau" an mehreren Standorten zu sehen.
Der Kulturwissenschaftler Michael Ponstingl schreibt im Buch „ÖsterreichBilder" (2016), über Christopher Mavrič' fotografische Improvisationen: „Mavrič geht weder auf den ganz und gar geheimen noch aggressiv-objektifizierenden Schuss. Fotofreibeuterei und die damit einhergehende Ästhetik des spektakulär-spektakelhaften Schnappschusses sind seine Sache nicht. Vorstellungen, jemandem ein Geheimnis zu entreißen, diesen zu demaskieren oder etwas Selten-Sichtbares zu entbergen, befremden ihn. Konträr dazu setzt er auf ein untergründiges Einverständnis mit den potenziell zu Porträtierenden. Zuallererst heißt das, anzuerkennen, dass einem jeden Menschen das Anrecht auf sein eigenes Bild zukommt."
Christopher Mavrič lebt und arbeitet heute in Wien und Graz.
ARTfaces-Redaktion
Dezember 2023