Körper-Schaften
Im Schaffen des Komponisten David Pirrò verbinden sich naturwissenschaftliches Interesse und künstlerische Ambition, Physik und Interaktionsforschung.
Die Zusammenführung von Forschung und Kunst ist fast eine logische Konsequenz der Biografie des 1978 in Udine geborenen Künstlers. David Pirròs deutsch-italienisches Elternhaus ist musikaffin, bis zu seinem 18. Lebensjahr hört er nur klassische Musik. Aber schon bald danach sollte Jazz als Interessensgebiet hinzukommen, Pirrò lernt als Bandmitglied die Welt der Improvisation und musikalischer Interaktion kennen.
Aber ein scheinbar völlig anderes Feld faszinierte ihn ebenso: Neben dem früh begonnen Klavierstudium in Udine inskribiert Pirrò an der Universität in Triest Physik, wo er 2004 schließlich den Magister in theoretischer Physik macht. Auch wenn es ihn weiter zu Musik hinzog, wollte er die Physik nicht aufgeben. Sein Ziel war es, ein Betätigungsfeld zu finden beziehungsweise zu schaffen, in dem sowohl Kunst als auch Wissenschaft einen Platz haben. Glücklicherweise verfügt die Universität Triest auch über ein Institut für Elektronische Musik, an welchem diesbezügliche Studien möglich sind. Von dort führte ihn der Weg 2007 an die Grazer Kunstuniversität, auf das Institut für Elektronische Musik und Akustik, an welchem unter anderem die wissenschaftlichen Grundlagen und Aspekte von computergenerierter Klangerzeugung untersucht werden, beispielsweise die Spatialisation, also die die Klangprojektion im Raum.
Pirròs künstlerisches Schaffen hängt stark mit seiner Forschungsarbeit zusammen. Seine Kompositionen vergleicht er ganz in der Sprache der Physik mit „experimentellen Anordnungen", die jedoch keine Antworten generieren sollen, sondern, ganz in der Sprache der Kunst, „Werkzeuge seien, um Fragen aufzuwerfen". Der technische Aspekt seiner Arbeit fasziniert ihn, „ich mache alles gern selbst". Thematisch bildet die Interaktonsforschung ein Hauptgebiet seiner Arbeit. „Im Bereich der Elektronischen Musik hat die Interaktion genauso ihren Platz. Sie ist gar nicht zu umgehen, wenn ein Komponist im Konzert etwa ein vorproduziertes Tonband abspielt, hat das auch schon etwas Interaktives." Letztlich folgte die Interaktion im elektronischen Bereich ähnlich strukturierten Mustern wie die klassische Interaktion. „Musik und jede andere klangbasierte Kunst wie Kunst generell sind eine Art intersubjektiver Kommunikation."
Die Entwicklung von Interfaces, von Tools zur Klangerzeugung steht im Mittelpunkt seines Interesses. Dabei untersucht Pirrò bevorzugt die Zusammenhänge von Bewegung und Klang. Im Stück „Bodyscapes" (kreiert gemeinsam mit Gerhard Eckel) aus dem Jahr 2009 macht ein speziell entwickeltes Motion Tracking System zur Klangproduktion. Die Tänzerin Valentina Moar wurde bei der Uraufführung quasi zur Musikerin, die mit ihren Bewegungen die Komposition steuert. Klang und Körperbewegung gehen eine symbiotische Verbindung ein, formen ein Ganzes. Instrumentale Stücke wie „cornerghostaxis#1" verdeutlichen, wie in Pirròs Arbeit Interaktion, Raum und festgeschriebene Komposition zusammenhängen: In diesem Stück wird eine Fagottistin von einer vorgefertigten vierkanaligen elektroakustischen Komposition begleitet. Über vier Bewegungssensoren, die am Instrument angebracht sind, steuert die Musikerin während ihrer Performance die Spatialisation der vier Kanäle - eine faszinierende Erweiterung der Möglichkeiten eines Instruments.
Auch wenn die Entwicklung von Klangerzeugungstools, von Interfaces oft in den Vordergrund der Arbeit tritt, denkt Pirrò eher "klassisch" als Komponist, denn als Ingenieur oder Medienkünstler. Die Performance, das klangliche Ergebnis sei immer noch das Hauptereignis. "Mir ist auch wichtig, dass ich live noch etwas ändern kann. Selbst kleinste Änderungen im Setting sind ja live spürbar." Und Kleinigkeiten bedeuten ihm viel: "Die Liebe zum Detail kommt von der Physik."
Martin Gasser
August 2011