Soulbruder erzählt (*)
Der Schauspieler Matthias Ohner gibt den Geschichten eine Seele.
Direkt zum *Update 2023
Autofahrten sind Zeitfenster, die sich gut mit Geschichten füllen lassen. Das ist übrigens einer der Gründe für die andauernde Beliebtheit von Hörbüchern. Und so lange PKWs mit Kassettenlaufwerk existieren, die Kinder in den Kindergarten führen, wird es auch Pumuckl-Tapes geben. Wenn Matthias Ohner mit seinem Zweiten, dem sechsjährigen Josef, morgens im Stau steht, gibt es auch Geschichten. Josef wirft seinem Vater drei oder vier Stichwörter nach vorn und der baut rundherum die Story. „Es hat mich einfach angeödet, immer die bekannten Kindermärchen nachzuerzählen", so Ohner. Inzwischen steckt ein Aufnahmegerät an der Armatur, das die Texte aufzeichnet. Und das Spiel mit den spontanen Stichwortgeschichten wurde auch schon erfolgreich mit Erwachsenenpublikum wiederholt. Ohner hat festgestellt: Die Tätigkeit als morgendlicher Erzähler macht nicht nur Spaß, sie fördert auch wirklich bemerkenswerte Ergebnisse zutage.
Eigentlich ist Matthias Ohner ja kein Erzähler. Sondern Schauspieler. Aber das macht in seinen Augen keinen großen Unterschied: „Für mich bedeutet Theaterspielen immer, eine Geschichte zu erzählen. Das muss nicht unbedingt über den Text, über die Sprache passieren, man kann auch mit dem Körper erzählen. Je mehr ein Stück von den Worten entkoppelt ist, desto interessanter wird es für mich." Beim Darsteller Matthias Ohner äußert sich dieser Zugang nicht in gestenreichem Spiel, sondern in einer durch und durch reduzierte Direktheit, die unter Einsatz sparsamer theatralischer Mittel eine unglaubliche Präsenz entfaltet. Matthias Ohner ist einfach da. „Du bist als Schauspieler bei allem, was du tust eine Projektionsfläche für den Film, der im Kopf des Zuschauers abläuft. Das, was man spielt, ist immer mehr, als man mit Worten beschreiben kann". Zumindest bei ihm, dem Darsteller Matthias Ohner, ist das wirklich so.
Mit Ödön von Horváths „Ein Kind unserer Zeit" hat sich Ohner, der u. a. unter dem Label „Vorstadttheater Graz" auftritt, schon einmal einen ganzen Roman vorgeknöpft, den er in Gasthäusern, Klassenzimmern und Theaterräumen als große Erzählung vom Kleinen Mann auftischt. Von der Rolle des Erzählers rutscht er unvermittelt in die Rollen des Stücks, die er gemeinsam mit Regisseur Ed Hauswirth aus dem Nachkriegsroman herausgeschält hat. Zigaretten- und andere Schachteln oder eine Handymailbox treten in den Nebenrollen auf, durch die Hände des Erzählers wird aus wenigen Alltagsutensilien eine ganze Stadt - oder auch eine dramatische Szene.
„Ein Kind unserer Zeit" wurde bereits als Gastproduktion ins Grazer Schauspielhaus eingeladen, Ohner selbst hatte dort 2010 ein Engagement in Arthur Millers „Hexenjagd", einer Regiearbeit der Intendantin Anna Badora. Für einen Self-made-Actor, der sein Handwerk in der Off-Szene erlernt hat, ist das schon ein kleines Karriere-Highlight. Matthias Ohner ist ausgebildeter Sozialarbeiter (Diplomthema: „Humor in der Sozialarbeit. Von Karate und Auto fahren"), neben seinen Engagements in der freien Szene hat er jahrelang an theaterpädagogischen Projekten zur Gewaltprävention mitgearbeitet. Die dramatische Initialzündung erlebte er als Gastschauspieler in der legendären „Hamlet"-Inszenierung im Theater im Bahnhof. Inzwischen hat er mit dem „Vorstadttheater Graz" sein eigenes Ein-Mann-Theaterunternehmen, das Anfang 2011 um das vierköpfige DJ-Kollektiv „Soul-Brüder" ergänzt wurde. Vom Plattenteller aus bringt DJ Mazze dann die Körper der anderen zum Sprechen.
Hermann Götz
Februar 2011
*Update 2023: Selfmade Actor auf Erfolgskurs
Der „Selfmade Actor" feierte mit Kafkas „Verwandlung" in der Regie von Ed Hauswirth große Erfolge: Die Inszenierung gewann beim Theaterfestival der freien Bühnen der Steiermark, „bestOFFstyria", anno 2012 sowohl den Publikumspreis als auch den Preis der Jury. Über 160 Mal gab Ohner in der Folge den armen Handelsreisenden Gregor Samsa, der eines Morgens als Kakerlake erwacht.
An diesen Erfolg schlossen Ohner und sein Regisseur Ed Hauswirth 2013 mit einer Adaption von Ödön von Horvaths „Jugend ohne Gott" an. Auch diese Produktion (in Kooperation mit dem Schauspielhaus Graz) gewann bei „bestOFFstyria" den Jurypreis und gastierte rund 100 Mal „in großen Theaterhäusern, aber auch in Gasthgäusern", wie Ohner berichtet.
Der Schauspieler gastierte immer wieder auf der großen Bühne des Grazer Schauspielhauses, u. a. in Bühnenklassikern wie Nestroys „Einen Jux will er sich machen" in der Inszenierung von Dominique Schnizer (2017), aber auch in modernen Adaptionen wie jener von Lars von Triers „Das Reich: Hospital der Geister", die im Jänner 2023 Premiere hatte (Regie: Jan-Christoph Gockel).
2015 war Ohner in einer Nebenrolle im Spielfilm „Der Blunzenkönig" an der Seite von Karl Merkatz zu sehen; 2016 spielte er die Titel- und Hauptrolle in David Lapuchs erstem Langfilm, „Adam".
Im Rahmen der Internationalen Sommerakademie Graz gibt er regelmäßig sein Wissen weiter. Ohners Erfolgsrezept: „Ich denke als Schauspieler, als Erzähler, als Game-Changer, als Director, als Musiker, als Sounddesigner, als Cutter und vor allem als Zuschauer!"
ARTfaces-Redaktion
November 2023