„Das ist alles sehr seltsam“ (*)
Veronika Muchitsch braucht für ihre berührenden Songs nicht mehr als Stimme und Piano. Soap&Skin erlangte auf ähnliche Weise internationale Bekanntheit.
Man kann ein Gespräch mit Veronika Muchitsch zum Beispiel mit folgender Frage eröffnen: „Es gibt eine Assoziation, die bei Ihrer Musik aufkommt, nämlich ...". Dann beginnt sie zu schmunzeln, ohne dass man die Frage weiter ausführen muss. Sie weiß nämlich bereits, welche Assoziation man im Schilde führt. Es ist nicht das erste Mal, dass sie zu hören bekommt, man müsse bei ihr unweigerlich an Anja Plaschg alias Soap&Skin denken. Allerdings ist das auch nicht weiter verwunderlich. Beide sind sie junge Frauen, die sich auf ein Piano und ihre Stimme verlassen. Und beide kommen sie aus kleinen steirischen Nestern, die mit „G" beginnen. Muchitsch aus Gleinstätten, Plaschg aus Gnas. Nur zwei Tage nach Plaschg wurde Muchitsch geboren, im April haben sie ihren zwanzigsten Geburtstag gefeiert. „Das ist alles sehr seltsam“, meint sie.
Ist ein Vergleich mit der großen, österreichischen Pophoffnung schmeichelhaft? „Auf jeden Fall“, sagt Muchitsch. „Bereits ab dem ersten Konzert sind diese Vergleiche an mich herangetragen worden. Anfänglich war mir das auch unangenehm, weil ich sie nämlich nicht gekannt habe." Mittlerweile kennt Muchitsch „Lovetunes for Vacuum“, das international erfolgreiche Album von Soap&Skin. Was sie von Plaschg unterscheidet, kann Muchitsch in einfachen Worten erklären: „Ihre Songs sind pathetischer und dunkler als meine Sachen.“ - "Ihre Sachen", das sind bislang fünf Songs, die sich auf ihrer myspace-Seite befinden. Reduzierte, emotional stark aufgeladene Pianoballaden, getragen von einer Stimme, die zu berühren vermag. Mehr gibt es derzeit nicht von ihr zu hören, mehr möchte sie im Moment einer größeren Öffentlichkeit nicht zu Gehör bringen. Muchitsch bezeichnet sich selbst als Perfektionistin. Nur bei Live-Auftritten spielt sie jene Songs, die sie für zu wenig ausgereift hält, um sie ins Netz zu stellen.
Ihren ersten Song hat sie schon vor vielen Jahren geschrieben, als sie 15 war. „Ich hätte mir niemals gedacht, dass ich meine Songs irgendwann in einem größeren Rahmen spielen würde“, erinnert sie sich. Voriges Jahr im Sommer ist es dann aber doch passiert, allerdings musste sie dazu förmlich gezwungen werden. „Eine Freundin von mir hat ein kleineres Festival in Klagenfurt veranstaltet, sie konnte mich überreden, dort aufzutreten.“ Und der Auftritt gibt der Musikologie-Studentin Selbstsicherheit. Sie legt eine Myspace-Seite an und geht auf die Grazer Konzertveranstalter Platoo zu. Das hatte im März dieses Jahres ihren ersten und bislang einzigen Auftritt in Graz, im Café Scherbe, zufolge. Selbst wenn ihr schon von vielen Seiten Komplimente für ihre Musik gemacht wurden, allzu große Pläne möchte sie vorerst gar nicht schmieden. Sie sieht die Sache gelassen: „Ich habe das bis jetzt alles nicht zu ernst genommen, und ich glaube, das ist der richtige Zugang“. Ihr Song „Demons“ allerdings, der wäre sicher gut genug, um ihn mit zwei, drei anderen auf eine EP zu packen. Aber vielleicht muss sie sich auch gar nicht groß bemühen. Es ist zu vermuten, dass früher oder später ohnehin die richtigen Leute auf sie aufmerksam werden.
Tiz Schaffer
2010
*Update 2023: Von der Praxis in die Theorie
Ihre eigene Stimme hat die Zuhörer betört, für Veronika Muchitsch selbst ist eine Singstimme aber mehr als nur Klang. Sie transportiert auch gesellschaftliche und politische Einstellungen, wie die Musikwissenschaftlerin zum Beispiel im Aufsatz „Neoliberal Sounds? The Politics of Beyoncé's Voice on ‘Run The World (Girls)'" darlegt. Die Studie erschien 2016 in der Schriftenreihe „PopSkriptum" der Humboldt-Universität Berlin. 2018 erhielt Muchitsch dafür den Harald-Kaufmann-Preis der Universität Graz für Publikationen in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften sowie für künstlerische Publikationen.
Veronika Muchitsch selbst zog es nach ihrem musikwissenschaftlichen Master-Abschluss an der Kunstuniversität Graz weiter nach Norden. 2020 dissertierte sie an der schwedischen Universität Uppsala. „In meiner Doktorarbeit Vocal Figurations (2020) habe ich die Geschlechterverteilung von Stimmen in der Popmusik des 21. Jahrhunderts anhand des Zusammenspiels von Gesang und Zuhören aus den Perspektiven von Stimmtechnik, Studiotechnik und elektronischer Vermittlung analysiert", erklärt die Forscherin. Seit 2023 ist sie Dozentin für populäre Musik am Institut für Musikwissenschaft in Uppsala. Parallel dazu geht Muchitsch an den Universitäten Södertörn (S) und Oslo (N) Postdoc-Forschungen über die „Vermittlung von Musik und Geschlecht im Musik-Streaming an der Schnittstelle automatisierter und menschlicher Kuratierpraktiken" nach. Unter anderem untersucht sie, wie Playlisten unsere Vorstellungen von Geschlecht und Gesellschaft beeinflussen können.
ARTfaces-Redaktion
Juni 2023
Die Namensvetterin
Anmerkung: Zum ARTfaces-Porträt der gleichnamigen Comic-Künstlerin Veronika Muchitsch geht es unter diesem Link. Die beiden sind nicht verwandt.