Loch im Herz (*)
Die Musikerin und Künstlerin Anja Plaschg alias Soap&Skin vermag mit ihrer virtuosen Balladenkunst zu rühren. Auf das Debütalbum muss man dennoch bis Herbst 2008 warten.
Kann ein Loch im Herzen wieder heilen? Bei Anja Plaschg tat es das. Die siebzehnjährige Künstlerin hatte ein solches bei ihrer Geburt. Heute singt sie Löcher in die Herzen von Musikliebhabern. Mit wunderbaren und virtuosen, auf Klavier basierenden Songminiaturen, die sie teils mit Flöte, Geige oder dem Carrillon, einem Glockenspiel, erweitert. Oder mit dunklen Soundflächen. Selbst ein Abstract Electronica-Track besitzt bei ihr eine fragile Schönheit. Und dunkel ist auch die Wehmut, die die fein ziselierten Balladen und ihren ätherischen Gesang umgibt.
Plaschg ist in Gnas bei Feldbach aufgewachsen. Dass ihr Vater Landwirt war, findet auch Eingang in ihre Kunst. Etwa in einem schonungslosen Video über Schweineschlachtungen. Nachdem Plaschg die Grazer Ortweinschule geschmissen hatte, wurde ihr mit 16 die Ehre zuteil, in die Wiener Akademie der bildenden Künste aufgenommen zu werden. Allerdings widmet sie die meiste Zeit dem Komponieren. Als sie 14 war, verspürte sie den Drang dazu. „Es war wie aus dem Nichts heraus", meint sie heute. Bewundert hatte sie vorher Menschen wie die Sängerin Nico, die Sixties-Ikone, die mit Velvet Underground zusammengearbeitet hatte.
Bekannt geworden ist Soap&Skin mittlerweile auch ohne regulären Tonträger. Die ersten Wellen schlug der Song „Mr Gaunt PT 1000", veröffentlicht auf einer Compilation des Labels Shitkatapult, das der deutsche Elektro-Rabauke T.Raumschmiere betreibt. Dafür wurde ihr von Kritikern, in diversen Blogs und auf ihrer myspace-Seite geradezu hymnisches Lob ausgesprochen. Wenn alles gut geht, wird im Herbst 2008 ihr erstes Album bei Shitkatapult erscheinen.
Plaschg ist als Person ihrer Musik nicht unähnlich: scheu und zurückhaltend. „Ich lebe schon sehr isoliert", sagt sie über ihre hermetische Arbeitsweise und die wenigen sozialen Kontakte. Ihr Perfektionismus fordert anscheinend volle Konzentration auf die Arbeit. Er lohnt sich aber. „Fall Foliage", ein aktueller Song auf ihrer myspace-Seite, bohrt mit Intelligenz, Nachdruck und süßer Schwere eine triefende Wunde in den Herzmuskel. Obwohl sie ihre Auftritte noch ohne Booker organisiert, haben Herzen vor kurzem auch bei Konzerten in Berlin oder New York geblutet.
Selbst wenn ihre Songs auch inhaltlich von der dunklen Seite des Lebens zu erzählen wissen, vermitteln sie die Aura einer engelsgleichen Reinheit. So wie zarte, blasse Haut, die von Seife wieder samtige Schönheit erhält. Das mag zwar salbungsvoll klingen, ein gewisser existenzieller Pathos ist auch Plaschg nicht fremd. Wenn sie etwa ihren Geburtsfehler in reduzierten Grafiken thematisiert: „Eine ästhetisierte Vorstellung davon wäre ein Herzschuss. So zu gehen, wie man gekommen ist."
Tiz Schaffer
Dezember 2007
*Update 2023: Keine Bühne ist ihr zu groß
Sie war mit reichlich Vorschusslorbeeren bedacht worden - und hatte keine Mühe, die hohen Erwartungen, die in sie gesetzt waren, zu erfüllen. Soap&Skin zählt zu Österreichs wichtigsten Pop-Acts mit Auftritten in ganz Europa und den USA.
Drei Alben hat die zerbrechlich wirkende Anja Plaschg bisher unter ihrem Künstlernamen veröffentlicht:
- Das Debüt Lovetune for Vacuum (2009) ist mit seinen düsteren Songs schon heute ein Klassiker der Nullerjahre,
- Narrow schaffte es 2012 auf Platz 1 der Austro-Charts für Alben und war auch international erfolgreich,
- From Gas to Solid / you are my friend (2018) ist künstlerisch gesehen ihr rundestes, wärmstes Album bisher.
Einige ihrer Songs wurden für Filme und Serien verwendet, u. a. für die Netflix-Serie „Dark" und die US-Serie „Breaking Bad". Ihr Titelsong „Italy" des Fantasyfilms „Sicily Ghost Story" war 2017 für den besten Originalsong beim italienischen Filmpreis „David di Donatello" nominiert.
Auch als Darstellerin konnte Anja Plaschg reüssieren: Unter anderem war sie 2016 in Ruth Beckermanns Kinostreifen „Die Geträumten" zu sehen und 2019 in Helene Hegemanns „Axolotl Overkill". 2023 erhält Plaschg mit einer Rolle beim Salzburger „Jedermann" gewissermaßen die höchsten Theaterweihen, die in Österreich zu vergeben sind. Außer vielleicht im Burgtheater, aber auch da firmierte sie bereits als Bühnenkomponistin (Musik für „Antigone" in der Regie von Jette Steckl in der Spielzeit 2015/16), ebenso wie am Thalia Theater Hamburg und dem Schauspielhaus Zürich.
Dass ihr keine Bühne zu groß ist, hat Soap&Skin spätestens 2015 beim Benefizkonzert für Flüchtlinge aus Syrien vor 150.000 Menschen in Wien bewiesen. Ebenso bei ihrem Auftritt in der Hamburger Elbphilharmonie, wo sie 2018 unter der Leitung des deutschen Dirigenten André de Ridder gemeinsam mit den britischen Musikerinnen Anna Calvi und Laeticia Sadier David Bowies letztes Album „Blackstar" interpretierte. Weitere Aufführungen dieses Konzertevents fanden in Amsterdam und Paris statt.
Hier geht es zur Website von Soap&Skin
ARTfaces-Redaktion
Juni 2023