Mimu und ihr liebenswürdiges Universum (*)
Miriam Mone schnitzt friedlich an sich selbst und erzählt dabei Geschichten.
Sie ist ein Hansdampf in allen Gassen, eine Malefizkerlin, kreative Tausendsassarin. Sie reagiert auf Situationen, Zustände und ergänzt sie auf konzeptkünstlerische Weise. Sie gibt ihren Senf dazu und baut sich Stück für Stück ihr eigenes Universum, in dem sie Kaiser und Hofnarr zugleich ist. Ein Universum erfüllt von chansonartigen Elektrosäuseleien, die sanft aus den Boxen tröpfeln, bittersüßer digitaler Romantik und durchflutet von der wunderbaren Schizophrenie des Internets. Und sie ist vielseitig. So vielseitig, dass sie nicht genau weiß, wo sie sich in der heimischen Kunstszene einordnen will. Musik, Performance, Text, Grafik, Visuals - die Liste ist lang. Definitiv aber treibt sie in einer „digitalophilen, subkulturellen Strömung", die sich durch Idealismus und Individualität auszeichnet. Und vom Grund des kreativen Flusses taucht sie Humor und tödlichen Ernst, Wahrheit und Lüge, Perlen und Dreck auf.
„Ich erfinde Schwachsinn, der dann irgendwann komischerweise doch Sinn macht, als ob es Absicht wäre."
Das Hauptwerk ihres Schaffens ist sie selbst, wobei noch nicht absehbar ist, wann Miriam Mone aka „mimu" mit sich fertig sein wird. Oder was sie dann mit sich anstellt. Ein wirkliches Ziel gibt es nicht, nur das Leben in ihrer persönlichen „User-Illusion" und deren Gestaltwerdung, auf welchem Weg auch immer. Netzkulturen und ihre Eigenheiten sowie die formale Rhetorik des Internets als Stilmittel verschmelzen in ihrem Schaffen radikale Kontraste zu einem großen Ganzen. Wichtig sind die erzählte Geschichte und die „Benutzerfreundlichkeit". Das jeweilige Produkt soll eine sofortige Reaktion hervorrufen, „ohne dass der Konsument vorher eine Gebrauchsanweisung fressen muss."
„Vielleicht verschenke ich mich aus Dankbarkeit an meine Mutter und sie hängt mich in ihrem Wohnzimmer auf. Oder ich verkaufe mich an den meistbietenden Nächstbesten. Oder ich vergesse mich in einer Räumlichkeit, die zur Aufbewahrung von Dingen dient, die man eigentlich nicht mehr braucht, von denen man sich aber noch nicht endgültig trennen kann."
Nach dem Architekturstudium in Graz verließ sie den „heimatlichen Sandkasten Steiermark", um in Wien Kunst zu studieren. Doch auch die österreichische Hauptstadt wird nicht ihre letzte Station sein, denn Miriam Mone ist „ortlos und stolz darauf". Das Web 2.0 beschäftigt sie besonders. Menschen auf der ganzen Welt sitzen ihr so täglich gegenüber. Ländergrenzen werden transparenter, verschwimmen im Nirgendwo. Chancen hängen vom Menschen ab, nicht von Örtlichkeiten. So stehen auch schon zahlreiche internationale Projekte, Ausstellungsteilnahmen und Internetauftritte in ihrem Curriculum Vitae (Italien, Bulgarien, Slowenien).
„Facebook bringt mich momentan sehr zum Nachdenken. Mittels spielerischer Applikationen werden soziale Daten gesammelt, die ich normalerweise in persona keinem erzählen würde. Oder würdest du zum nächstbesten Fremden in der Straßenbahn gehen und ihm erzählen, mit wem du in den letzten fünf Jahren Sex hattest?"
Schüchternheit und Abgebrühtheit, ein Hang zur Akribie und gleichzeitig die Tendenz, im Chaos zu surfen, Selbstkritik, Einfachheit und Klarheit - Miriam Mone ist ein Tech-Addict, Vegetarierin, erfindet neue Wörter, ist politisch und gesellschaftlich interessiert, mag Medientrash, hat ein viel zu gutes Gedächtnis und gerne eine eigene Meinung.
Trotz ihres künstlerischen Formwandlerdaseins bleibt für sie die Musik und ihre Bausteine (Video, Text, Stimme) die direkteste Form der „Psychohygiene". Und die Zukunft bringt Ungeahntes, Neues und Aufregendes. Gekoppelt an diverse Parameter wie ihren eigenen Puls, Hirnströme und Atemfrequenz geleitet uns „mimu", ohne dass wir es merken, in ihr persönliches, liebenswürdiges Universum.
Brigitte Alice Radl
Dezember 2007
*Update 2023: Sounds & digitale Dada-Textcollagen
Inspiriert durch die Arbeit als erfolgreiche VJane, begann Miriam Mone, die Vielfalt der elektronischen Soundwelten selbst als Künstlerin auszuloten. Seit 2009 engagiert sie sich von ihrer neuen Homebase Wien aus in eigenen kreativen Musikprojekten. In diesen Arbeiten, denen sie unter dem Künstlernamen Mimu nachgeht, verfolgt sie ein breites Spektrum an Interessen: von Inszenierung und Arrangement der Stimme über Elektroakustik, Radiokunst und Sound Art. Unter anderem kooperiert sie mit Ritornell, dem Wiener Electronic-Projekt von Richard Eigner und Roman Gerold. Auf dem Album „Aquarium Eyes" (2013) ist Mimu auf mehreren Tracks als Sängerin zu hören. Im selben Jahr erschien auf Bandcamp ihr eigenes Album mit dem schönen Titel „Elegies in Thoughtful Neon". Die Tracks orientieren sich noch recht brav an der Pop-Struktur eines Songs. Das sollte sich bald ändern.
Vernetzung von Sound und Text
Über Ritornell lernte sie den Cellisten Lukas Lauermann kennen, der ihr Partner bei zahlreichen Projekten wurde, und mit dem Mimu in experimentellere Gefilde aufbrach. Als FLMNT (sprich: Filament, dt.: Faser bzw. Faserwerk) tüfteln sie an Sounds, die Celloklänge, elektronische Musik, Soundschnipsel und fallweise auch Text miteinander verweben. Unter anderem steuerte Lauermann die Musik zu Miriam Mones Textcollage „Häcking" bei. Mone reichte die Arbeit 2014 unter ihrem Pseudonym Mimu Merz als Kurzhörspiel beim Wettbewerb „Track5" ein - und wurde prompt mit einem Preis der „Schule für Dichtung" ausgezeichnet. Mone verwebt in „Häcking" abseitige und aufdringliche aktuelle Informationen aus dem Ozean des Internets mit Lauermanns Klängen. Digitale Dada-Textcollagen.
„Bestes Feriencamp, das ich als Kind nie hatte"
2014 wurde Mimu als eine von 60 handverlesenen Sound Artists zur Red Bull Music Acadamy in Tokio eingeladen. „Es war das beste Feriencamp, das ich als Kind nie hatte", sagte sie darüber 2015 im „Red Bulletin"-Interview. „Musiker aus aller Welt arbeiteten zwei Wochen zusammen: Der perfekte Ort, um Kontakte zu knüpfen und über den Tellerrand zu schauen." Seither ist Mimu in Sachen Musik rund um den Globus unterwegs. Aber auch in Österreich ist sie ein Dauergast bei einschlägigen Festivals: 2019 war sie gemeinsam mit Ritornell als Act bei der Eröffnung des Ars Electronica Festival in Linz zu hören. Und beim Grazer Elevate-Festival ist die Künstlerin ebenfalls ein gern gesehener Gast.
Von A nach B
2016 brachte sie als Mimu Merz in Kooperation mit dem THEO-Theater in Oberzeiring ihr erstes Theaterstück auf die Bühne - oder besser gesagt auf die Straße des obersteirischen Ortes, denn "Von A nach B" ist ein Vor-Ort-Stationendrama für Mann und Frau. Geschrieben hat Mone es für ihre Schwester. 2018 realisierte sie dann gemeinsam mit Lukas Lauermann das auf „Hacking" beruhende Experimentalstück "Instant Choir 2.0 - In jedem Mädchen ein Hafen" im Theaterraum Werk-X Petersplatz in Wien. 2020 folgte ihre gemeinsam mit Susanne Draxler verfasste Adaption von Ray Bradburys "Fahrenheit 451" am Wiener TAG Theater Wien. "Es erlebte ein paar wenige Vorstellungen, bevor ein Lockdown nach dem anderen es aus der öffentlichen Wahrnehmung drängte", wie Mone in einem Interview mit dem Online-Magazin musicaustria.at sagt.
Radikal verbindungsfreudig
Mone ist radikal in einem chemischen Sinn: Sie vernetzt nicht nur Sound- und Textelemente, die sich in ihr Gravitationsfeld bewegen, sie verbündet sich auch gerne mit anderen Künstlerinnen und Künstlern, wie wir bereits gesehen haben. Gemeinsam mit Miriam Schmidtke - ebenfalls eine in Wien lebende Multiartistin - erarbeitete sie die Text-Performance „How to protect you internal ecosystem". Das Zwei-Personen-Stück wurde 2019 im Werk X-Petersplatz aufgeführt, als Protagonistinnen standen Mimu Merz und Naemi Latzer auf der Bühne. In seiner „Kunstradio"-Hörspielfassung wurde das Werk 2020 von der Ö1-Hörerschaft als bestes Hörspiel des Jahres ausgezeichnet. In dieser Zeit gab Miriam Mone ihre ästhetischen Zugangsweisen als Gastdozentin an die Studierenden des Instituts für Sprachkunst weiter.
2021 war im Rahmenprogramm zu den 45. Tagen der deutschsprachigen Literatur (Bachmannpreis) Mimu Merz‘ Soundcollage „Fisch im Treibsand" im Kulturhof:Villach zu hören. Diesen und viele weitere Tracks der unglaublich vielseitigen Sound-Sprach-Verflechterin kann man auf ihrer Bandcamp-Seite nachhören.
ARTfaces-Redaktion
Juli 2023