Ungeahnter urbaner Sound (*)
Vibraphonist Raphael Meinhart gilt als eines der größten Talente der steirischen Jazzszene
Das hören wir gerne. Bereits in seiner Jugendzeit, also wo andere vielleicht noch ihre vier Wände mit den Posters von Popstars tapezieren oder gar die Flausen der Industriemusik im Kopf haben, sei Raphael Meinhart vom Jazz inspiriert worden. Gewiss, bei dieser Kinderstube, möchte man meinen, mit einem Vater, der in der österreichischen Musikszene praktisch gleichgesetzt wird mit allen Instrumenten, die man mit Stöcken oder Schlegeln bedient, mag das nicht verwunderlich erscheinen. Aber zum einen ist Vater Günter nicht unbedingt der explizite Jazzmusiker und zum anderen soll es schon vorgekommen sein, dass der Schuss der elterlichen Berufung nach hinten losgegangen ist.
Dennoch nennt Raphael Meinhart einen gewissen Günther Grasmuck als seinen ersten Lehrer, jenen Schlagzeuger, der mit der österreichischen Popgruppe Opus weiland international bekannt wurde und ein Lehrer der ersten Stunde von Günter Meinharts bekannter Schlagzeugschule war. Eines der größten Talente, das die steirische Szene in den letzten Jahren hervorgebracht hat, begab sich also auf den Weg, Jazzmusiker zu werden. Wobei Jazz heute für ihn naturgemäß sehr viel zwischen Free Jazz und Popjazz sein kann. Popmusik selbst sei aber nicht möglich, mit dem Vibraphon zu machen. Vielmehr gehe es ihm um Musik, wie etwa im Trio de Janeiro mit dem Saxophonisten Georg Gratzer und dem Gitarristen Thomas Mauerhofer. Ein Trio, das zwar eine Jazzband ist, aber doch deutliche Einflüsse von Worldmusic zeigt.
Die Sound-Möglichkeiten der Mallet-Instrumente
Womit wir aber bereits beim Vibraphon wären, einem Instrument, das nicht gerade zu den populärsten zählt. Auch nicht im Jazz. Das weiß der junge Virtuose. Am Schlagzeug spielt Raphael heute nicht mehr live, sondern nur mehr gelegentlich zum Trainieren der Technik. Und weil er noch Klassik an der Kunstuniversität Graz studiert, bleiben ihm vorerst auch Pauken und die Kleine Trommel nicht erspart. Aber nach dem nahen Diplom ist Schluss damit.
Das Vibraphon aber war immer schon dabei, und im Alter von 13 oder 14 Jahren, nachdem er bei den einschlägigen Instrumentalisten Grasmuck, Berndt Luef und Chico Schenk praktisch alles gespielt hatte, was es im Bereich zwischen den Mallet-Instrumenten und dem Drumset gibt, hat er sich endgültig dem ach so charakteristischen Klang dieses Schlaginstrumentes verschrieben. Die Marimba, das hölzerne Pendant dazu, spielt er freilich auch, doch ihm böte das Vibraphon einfach mehr Sound-Möglichkeiten. Stimmt.
Jazz im elektronischen Zeitalter
Und weil Raphael Meinhart, geboren im März des Jahres 1986, ein Jazzmusiker mitten im elektronischen Zeitalter ist und der juvenile Drang zum Experiment noch ungebrochen in ihm steckt, muss er als moderner Vibraphonist einfach auch die Errungenschaften für sein Instrument ausprobieren. Ein Midi-Vibraphon etwa, oder eines, dessen Klang man mit kleinen Pickups verfremden kann. Und wer weiß, was noch alles. Klar scheint ihm allerdings, dass „ein Vibraphon von einer Band prinzipiell nicht gebraucht wird." Na ja, dafür kommt es aber, wie wir seiner Band Trio de Janeiro entnehmen können, ziemlich gut an. Diese Band schreibt ihre eigenen Nummern, die von den Harmonien und Melodien her relativ eingängig sind. Und obwohl Raphael Meinhart auch dem der zeitgenössischen Musik verschriebenen Ensemble Studio Percussion seines Vaters angehört, macht der etwas verschlossene Youngster kein Hehl daraus, dass er „unheimlich auf die Musik steht, die einfach vielen Leuten gefällt."
Am Weltmeister seiner Disziplin, dem US-Vibraphonisten Gary Burton, kommt natürlich keiner vorbei, der sein Instrument ernst nimmt. Und auch Raphael ist maßgeblich vom Meister aller Klassen beeinflusst. Wenngleich er stilistisch wohl am meisten vom Fusionjazz inspiriert scheint, von Weather Report oder Steps Ahead, also von Joe Zawinul oder Mike Mainieri. So geht es auch in der Band Cube, dem dritten aktuellen Arbeitsplatz des Studenten, eher in diese Richtung, die noch mit der quirligen Soulsängerin Farina Miss garniert ist. Damit haben sie vorerst einmal eine Demo-DVD aufgenommen. Brandneu. Gespannter warten wir allerdings auf seine erste CD mit dem Trio de Janeiro, die im vergangenen Sommer live im Grazer Generalihof mitgeschnitten wurde. Ein ungeahnter urbaner Sound aus der Steiermark. Frisch und saftig.
Otmar Klammer
Jänner 2008
*Update 2023: Kosmische Ritualmusik
Die Grazer Jazzformation „Trio de Janeiro" gibt es noch immer, nur haben sich seine Protagonisten Raphael Meinhart (Marimba), Thomas Mauerhofer (Gitarre) und Georg Gratzer (Holzblasinstrumente) dazu entschlossen, mit dem 2022 erschienenen neuen Album „Freiheitsplatz 1" auch einen neuen Namen anzunehmen, nämlich schlicht Mauerhofer/Gratzer/Meinhart.
Die sieben Nummern des Albums tragen Namen von Personen, wobei die bunte Mischung ins Auge sticht: Nach dem Opener „Ephraim Kishon" (israelischer Humorist der Nachkriegszeit) folgen „Thomas Mauerhofer" und „Marlene Haushofer" (österreichische Schriftstellerin), in der Mitte steht „Questlove" (US-Hip-Hop-Produzent), danach kommen „Gerhard Kosel" (Grazer Jazz-Impresario), „Vesna Petkovic" (Grazer Jazz-Sängerin) und „Charlotte Gainsbourg" (französische Schauspielerin).
Tunes of Negation
Die Musik des Trios ist hypnotisch und doch voller Wärme, was der seriellen, repetitiven Melodieführung und dem sparsamen Einsatz von Elektronik zu verdanken ist. Ähnliche Rhythmusstrukturen, aber eine Spur dunklere Klänge herrschen beim Berliner Trio „Tunes of Negation" vor. Dessen Mastermind Sam Shakleton alias Shakleton erbaut auf Meinharts perkussiven Patterns und den repetitiven Akkorden des Keyboarders Takumi Motokawa eine „fließende, kosmisch-tribalistische Ritualmusik", schreibt die Berliner „taz" über das 2020 erschienene zweite Album der Band, „Like the Stars Forever and Ever".
Exit Universe
Kosmisch könnte man auch Meinharts Zusammenarbeit mit der in Hamburg lebenden Pianistin und Sängerin Susana Sawoff nennen. Unter dem Bandnamen „ Exit Universe" hat das Duo 2018 das Album „Because the World is Round" veröffentlicht. „Die beiden Österreicher weben mit Gesang, Klavier, Vibraphon, Marimba, Percussion und Glockenspiel weiche, klare, betörend schöne Melodien", heißt es dazu in den Presseunterlagen.
Dozent, Theatermusiker und Improvisator
Neben seinen Bandprojekten ist Raphael Meinhart nach wie vor als Dozent bei „Studio Percussion" aktiv, dessen erster Student er war. Außerdem ist er als Meister der Mallet-Instrumentengruppe (Xylophone, Metallophone) ein gefragter Theatermusiker mit Engagements in Graz und Wien.
Beruflich pendelt Meinhart zwischen Graz und Berlin. Er ist Gründungsmitglied des Berliner „Kollektivs für komponierte und improvisierte Musik" (KIM), der u. a. auch die steirische Sängerin und Komponistin Laura Winkler angehört.
Alben der letzten Jahre:
- Mauerhofer/Gratzer/Meinhart: Freiheitsplatz 1 (2022)
- Tunes of Negation: Like the Stars Forever and Ever (2020)
- Tunes of Negation: Reach the Endless Sea (2019)
- Exit Universe: Because the World is Round (2018)
ARTfaces-Redaktion
Juni 2023